Berlin - Die Spitzen der deutschen Koalitionspartner Union und SPD haben in wichtigen Streitfragen einen Kompromiss erzielt. Sie verständigten sich auf eine Erhöhung des Pflegebeitrags um 0,25 Prozentpunkte zum 1. Juli 2008. Im Gegenzug sollen zum 1. Jänner 2008 die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Punkte gesenkt werden.

Nur eine Teileinigung gab es beim Mindestlohn, wo sich die SPD mit ihrer Forderung nach einer flächendeckenden gesetzlichen Lohnuntergrenze nicht durchsetzen konnte. Das teilten SPD-Chef Kurt Beck, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber und Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) nach der mehr als siebenstündigen Sitzung des Koalitionsausschusses in der Nacht auf Dienstag in Berlin mit.

Beim Mindestlohn verständigten sich beide Seiten darauf, die Zahl der Branchen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz auszuweiten. Dieses Gesetz erlaubt es, einen von Tarifparteien vereinbarten Mindestlohn für alle Betriebe der jeweiligen Branche verbindlich vorzuschreiben. Wie viele Branchen die Bedingungen dafür erfüllen, muss nach Becks Worten noch geprüft werden. Er sprach von etwa 10 bis 12 Branchen.

Mindestlohn

Kauder sagte: "Einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn wird es nicht geben." Stoiber betonte, mit dem Kompromiss erhielten die Tarifparteien größere Bedeutung: Nicht die Politik setze den Lohn fest, dieser werde vielmehr "immer von den Tarifparteien vorgelegt und erarbeitet". "Wir haben das Machbare erreicht", sagte Stoiber. Beck kritisierte die Position der Union als "kapitalen Fehler". Die SPD wäre "deutlich weiter gegangen".

Kauder wies darauf hin, dass auch jene Menschen, die nicht durch das Entsendegesetz geschützt werden könnten, künftig einen fairen Lohn erhalten sollten. In diesen Fällen solle das Gesetz zur Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen angewendet werden. Die Regelung von 1952 solle entsprechend angepasst werden. Sie soll in Branchen ohne Tarifvertrag auf Vorschlag der Tarifparteien eine staatliche Lohnfestsetzung ermöglichen.

Keine Zusatzbelastung

Die höheren Pflegebeiträge seien bis 2014 oder 2015 ausreichend, um die zusätzlichen Leistungen zu finanzieren, sagte Beck. Derzeit beträgt der Beitragssatz 1,7 Prozent (1,95 Prozent für Kinderlose). Er wird je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen. Damit Rentner, die von geringeren Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung (derzeit 4,2 Prozent) nicht profitieren, nicht zusätzlich belastet werden, stellte die Koalition Rentenerhöhungen für 2008 in Aussicht.

Einig waren sich die Koalitionsspitzen, dass Demenz- und Alzheimer-Kranke mehr als bisher oder sogar erstmals Leistungen bekommen sollen. Für die seit zwölf Jahren gleich gebliebenen Hilfen ambulanter Pflegedienste soll mehr Geld gezahlt werden, ebenso für die Betreuung schwerer und schwerster Pflegefälle in Heimen. Zudem soll es einen Rechtsanspruch auf eine Pflegezeit für Angehörige von bis zu sechs Monaten geben. Von dieser Regelung ausgenommen bleiben Beck zufolge Kleinbetriebe mit weniger als zehn Beschäftigten.

"Sehr gutes Ergebnis"

Beck sprach von einer "qualitativ wirklich sehr großen Reform, die wir da hinbekommen haben". Kauder nannte den Kompromiss ein "sehr gutes Ergebnis". Dies sei ein "guter Tag" für alle Pflegebedürftigen und deren Angehörige. Stoiber sagte: "Das alles ist ein ganz, ganz wuchtiger Schritt in der Reform der Pflegeversicherung."

Eine umfassende Finanzreform bei der Pflege bleibt dagegen vorerst aus, weil sich beide Parteien mit ihren jeweiligen Forderungen gegenseitig blockierten. Die SPD hatte bis zuletzt einen Finanzausgleich zwischen privaten und gesetzlichen Pflegekassen gefordert, die Union die Einführung einer individuellen kapitalgedeckten Altersreserve.

Briefmonopol

Ebenfalls keine Einigung fanden die Koalitionsspitzen beim Briefmonopol, das Ende dieses Jahres auslaufen soll. Zum geplanten Wegfall des Monopols der Deutschen Post bei der Beförderung von Briefen mit einem Gewicht von bis zu 50 Gramm sagte Beck, es sei vereinbart, in dieser Frage zunächst die weitere Entwicklung in der Europäischen Union abzuwarten. Die SPD hatte sich wiederholt dafür ausgesprochen, das Monopol zu verlängern, weil andere EU-Länder bei der Post-Liberalisierung nicht zeitnah mitziehen wollen. Die Union hatte dagegen betont, sie sehe keinen Handlungsbedarf. (APA/dpa/Reuters)