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"Was in Heiligendamm aber tatsächlich zählte, waren nicht die Beschlüsse einer Weltregierung, sondern vielmehr die dort offensichtlich gewordene Tatsache, dass die Zeit der G8 zu Ende zu gehen scheint."

Foto: AP Photo/Jens Meyer

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Zur Person
Joschka Fischer war von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister und Vizekanzler, zählte fast 20 Jahre zu den führenden Köpfe der Grünen und ist derzeit Gastprofessor an der Woodrow Wilson School der Universität Princeton.

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Der ehemalige deutsche Außenminister sieht nach Heiligendamm wenig Sinn im Fortbestand einer auf acht Staaten beschränkten "Weltregierung". China und Indien seien heute bereits wichtiger als manches G8-Mitglied. Und wer angesichts der "Ergebnisse" von Rostock Europas neue "weltpolitische Rolle" bejuble, müsse einem "Wunderglauben" verfallen sein. Foto: AP Abbau des umstrittenen Schutzzauns in Heiligendamm: reif für die Endlagerung?

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Die Regierungschefs der G8-Staaten haben sich in Deutschland, am Strand der Ostsee, getroffen und ihre Beschlüsse gefasst. Verfolgte man das Ereignis aus der Ferne, also mittels der europäischen Medien und vor allem der Medien des Gastlandes, so konnte man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass sich in Heiligendamm ein politisches Wunder zugetragen haben musste.

Eine Weltregierung habe da getagt, und die Geschlossenheit der Europäer habe in Heiligendamm aus dem notorischen Klimasünder George W. Bush fortan einen wiedergeborenen Klimaschützer gemacht. Ganz Verwegene sahen darin sogar einen Einstieg Europas in eine neue weltpolitische Rolle. Eine dreifache Rettung der Welt habe der G8-Gipfel gebracht: die Rettung des Weltklimas, Afrikas und auch der russisch-amerikanischen Beziehungen.

Die Amerikaner ließ der Gipfel ziemlich kalt

Im fernen Amerika, wo man zwar in der Regel religiöser ist als im alten Europa, scheint solcher Wunderglaube gleichwohl weniger ausgeprägt zu sein. Die Amerikaner ließ dieser Gipfel ziemlich kalt, und zwar nicht nur wegen Paris Hilton und der Szenen ihrer öffentlichen Unterbringung. Sondern mehr noch, weil man dort vom eigenen Präsidenten eh nichts anderes mehr erwartet, als das Ende seiner Amtszeit. Und weil auch deshalb dieser Gipfel nicht wirklich etwas zu entscheiden haben würde.

Was also wurde beschlossen? Die beteiligten Staaten wollen "ernsthaft prüfen," die globalen klimaschädlichen Emissionen bis 2050 (!) zu halbieren. So lautet der Kompromiss von Heiligendamm, um den so heftig gerungen worden sein soll. Nun ja, "prüfen," auch "ernsthaft prüfen" heißt in die Umgangssprache übersetzt aber nichts anderes als "vertagen." Der amerikanische Präsident hatte sich vor Heiligendamm und ganz offensichtlich auch in Heiligendamm erfolgreich geweigert, quantifizierbare Ziele zu akzeptieren und damit konkrete Verpflichtungen einzugehen. Also war am Ende lediglich über die Alternative zu entscheiden, entweder gar nichts zu beschließen oder eben eine prüfende Vertagung vorzunehmen. So laufen internationale Konferenzen eben bisweilen ab.

Klimapolitische Erweckung

Leider ist es auch mit dem europäischen Beitrag zur klimapolitischen Erweckung des amerikanischen Präsidenten nicht sehr weit her. Denn diese hat mehr mit einem klimapolitischen Umschwung in der amerikanischen Öffentlichkeit und mit wichtigen Akteuren in den USA selbst zu tun. Al Gore und Arnold Schwarzenegger haben dazu gewiss wesentlich mehr beigetragen, als alle europäischen Staats- und Regierungschefs zusammen genommen.

Auch die Zustimmung der US-Regierung, eine Nachfolgeregelung für das Kioto-Protokoll bis 2009 im Rahmen der UN zu verhandeln, ist bei Lichte besehen nicht wirklich ein Fortschritt. Denn im Kongress hört man bei den Vertretern beider Parteien immer wieder das Mantra: Niemals und nichts ohne China! Das wird sich auch nach den nächsten Wahlen nicht wirklich ändern.

Zweitgrößter Emittent

Vergleicht man nicht die absoluten Zahlen, sondern die Pro-Kopf-Emissionen der USA mit jenen Chinas, so wird das Problem sichtbar: Die VR China ist zwar bereits heute der weltweit zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen (nach den USA), bei den pro-Kopf-Emissionen aber immer noch ein Schwellenland, das sehr weit zurückliegt. Wenn die in absoluten Zahlen weltgrößte Wirtschaftsmacht und zugleich der pro Kopf und absolut weltgrößte Emittent von Treibhausgasen, die USA, mittels eines solchen Vorbehalts hinter dem größten Schwellenland klimapolitisch in Deckung gehen, dann verheißt das leider wenig Gutes für die Zukunft.

Zu Afrika hat die deutsche Bundesregierung vor dem Gipfel angekündigt, den Entwicklungshilfehaushalt um 700 Mio. Euro im Jahr zu erhöhen, und das war wohl der einzige konkrete Schritt. Deshalb verdient er auch Lob. Ansonsten aber haben die G 8 lediglich ihren Beschluss bekräftigt, den sie schon vor zwei Jahren im schottischen Gleneagles getroffen hatten. Das heißt aber im Klartext, dass seitdem in Sachen verstärkter Afrikahilfe außer hehren Worten kaum etwas geschehen ist. Und wenig spricht leider dafür, dass es mit der Wiederholung dieses bisher leeren Versprechens sehr viel anders verlaufen wird.

Mehr war nicht drin

Wie gesagt, mehr schien beim jüngsten G8- Gipfel angesichts der Themen, wie auch der Interessen und politischen Verfassung wichtiger Akteure, nicht erreichbar gewesen zu sein. Der deutschen Präsidentschaft kann man diese Lage nicht vorwerfen. Auch in einer anderen politischen Konstellation hätte man wohl unter den gegebenen Umständen kaum mehr zuwege gebracht. Wunder sehen jedoch anders aus.

Was in Heiligendamm aber tatsächlich zählte, waren nicht die Beschlüsse einer Weltregierung, sondern vielmehr die dort offensichtlich gewordene Tatsache, dass die Zeit der G8 zu Ende zu gehen scheint. China und Indien sind bereits heute politisch und wirtschaftlich wichtiger als manches europäische G8-Mitglied. Und gerade die Europäer sollten nicht vergessen, dass genau diese Sicht der Dinge rund um den Globus und vor allem auch jenseits des Atlantiks mehr und mehr um sich greift. - Und Russland? Präsident Putins Verhalten auf dem Gipfel machte sehr klar, was er von den Europäern hält, nämlich nicht allzu viel. Während diese noch von einer Vermittlungsrolle zwischen den USA und Russland träumten, setzte der russische Präsident darauf, die Frage von Raketenabwehr und Kosovo mit den USA bilateral zu lösen.

Wie in alten Tagen

Russland möchte nur allzu gern, wie in den alten Tagen der bipolaren Welt, wieder allein mit Amerika am Verhandlungstisch sitzen. Die Europäer werden in ihrer Gespaltenheit und Schwäche offensichtlich als unnötig, ja störend empfunden. Wenn die Europäer ihre Schwäche und Gespaltenheit weiter pflegen, so kann es ihnen passieren, dass diese Entwicklung auch auf weitere Themen der internationalen Agenda übergreifen wird.

Die Tage von Heiligendamm sind vorüber. Im nächsten Dezember wird es ernst werden. Denn dann werden sich die Umweltminister der Welt zur nächsten UN-Klimakonferenz in Bali treffen. Und erst dann wird man wissen, ob in Heiligendamm tatsächlich ein Wunder stattgefunden hat, oder ob es sich lediglich um ein weiteres gelungenes Stück aus der Abteilung "politische Wunderheilungen" gehandelt hat. (©Project Syndicate/Institute of Human Sciences, 2007, DER STANDARD, Printausgabe 20.6.2007)