Florian Wenninger, Obmann, Verein Gedenkdienst.

Foto: Wenninger
In seinem Kommentar "Unterberger soll bleiben" erweckt Gerfried Sperl den Eindruck, die Kritik an Andreas Unterberger als Chefredakteur der Wiener Zeitung käme einer Einschränkung der Pressefreiheit gleich, "linke Heckenschützen" hätten sich versammelt, um einem Andersmeinenden den journalistischen Garaus zu machen. Als Lieferant des Steins des Anstoßes scheint es mir angebracht, einige Dinge klar zu stellen.

Der Verein Gedenkdienst ist eine parteipolitisch und konfessionell unabhängige NGO, die sich seit Anfang der 90er Jahre um einen selbstkritischen Umgang mit der jüngeren österreichischen Vergangenheit bemüht. Neben Bildungsarbeit im Inland entsenden wir jährlich zwanzig Zivildienstpflichtige an ausländische Holocaustgedenkstätten, Bildungseinrichtungen und Altenheime. Unser Engagement verstehen wir als einen Beitrag für eine offene, demokratische und aufgeklärte Gesellschaft, aber auch als Zeichen an Überlebende des NS-Terrors und ihre Nachkommen.

Gegen das Verbotsgesetz

Als nun mit dem Advokaten Herbert Schaller ausgerechnet ein prominenter Rechtsextremist im vergangenen Jänner in der Wiener Zeitung die vorzeitige Enthaftung David Irvings kommentieren durfte und die Gelegenheit weidlich nützte, um gegen das Verbotsgesetz als solches zu polemisieren, regte sich hierzulande nur vereinzelte Kritik - zwanzig Jahre nach Waldheim sollten wir uns vielleicht fragen, weshalb. Unter vertriebenen Altösterreichern, mit denen unsere Freiwilligen von Buenos Aires bis Tel Aviv, von New York bis London konfrontiert sind, wurde dieser Umstand dagegen mit Bestürzung registriert. Was entgegnet man Auschwitzüberlebenden auf die Frage, wie es möglich sei, dass mit Schaller ein Teilnehmer der Teheraner Holocaustkonferenz im Organ der Republik publizieren darf?

Der Verein Gedenkdienst schloss sich öffentlich der Forderung von IKG und "Aktion gegen Antisemitismus" nach Abberufung des zuständigen Chefredakteurs Andreas Unterberger an (soviel zum von Sperl behaupteten "linken Revier, aus dem die ersten Schüsse gellten"). Daraufhin verlangte Unterberger einen öffentlichen Widerruf und drohte andernfalls mit einer Klage wegen Rufschädigung - und zwar ausschließlich dem Gedenkdienst, von dem er offenbar annahm, dieser verfüge im Unterschied zu den restlichen Kritikern nicht über die finanziellen Ressourcen, ein langwieriges Verfahren durchzustehen. Das absehbare Kostenaufkommen hätte den Gedenkdienst an den Rand des finanziellen Abgrunds gebracht. Als Reaktion auf diesen offenkundigen Versuch Unterbergers, seine Kritiker mundtot zu machen, reagierten SPÖ und Grüne. Erstere erklärte sich bereit, das Prozessrisiko zu übernehmen, zweitere wollten vom Eigentümervertreter der Wiener Zeitung, dem Kanzler, im Rahmen einer parlamentarische Anfrage wissen, wie er Unterbergers Vorgehen beurteile.

Organ der Republik

Aus alldem eine Hatz gegen einen kritischen Journalisten zu konstruieren, ist absurd. Wer als zuständiger Chefredakteur meint, allen Ansichten Raum geben zu müssen, liefert nur ein weiteres Beispiel dafür, was Hannah Arendt den "wohl hervorstechendsten und auch erschreckendsten Aspekt" der vergangenheitspolitischen Realitätsflucht nannte: "Mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen." Die Wiener Zeitung ist - anders als Sperl meint - nicht Regierungsblatt, sondern das Organ der Republik. Diese ist ihrer Verfassung nach antifaschistisch. Als ihre Bürger verlangen wir, dass diesem Umstand Rechnung getragen wird, auch und vor allem im Amtsblatt. Da der verantwortliche Chefredakteur dazu nicht in der Lage zu sein scheint, fordern wir seine Abberufung. Das hat nichts mit Zensur zu tun. Sondern mit Demokratie. (Florian Wenninger, Obmann, Verein Gedenkdienst)

Replik von Gerfried Sperl:

1. Ihr Argument, man dürfe einen mittellosen Verein nicht klagen, ist haltlos. Weil man ihm damit den rechtlichen Vorteil verschaffte, taxfrei attackieren zu können.

2. Im Kommentar wurde Unterberger sehr wohl wegen des Schaller-Textes kritisiert. Seine Publizierung reicht nur nicht aus, um den Chefredakteur abzusetzen.

3. In Ländern, die Pressefreiheit nicht praktizieren, werden Chefredakteure nach den dort existierenden Gesetzen gefeuert (oder verhaftet). Im Westen wird die Pressefreiheit extensiv ausgelegt. Es steht Ihnen frei, für deren Einschränkung einzutreten. Gerfried Sperl (DER STANDARD; Printausgabe, 20.6.2007)