Stellen wir uns vor, folgende Schlagzeile hätte auf den Sport-Seiten gestanden: "Neue Waffe gegen Angstgegner. Die Fußball-Sensation. Wie zwei Wiener Top-Fußballer den Angstgegner mit mehr Training besiegen wollen." Wer würde diese Willensbekundung von Sportlern, dass man gewinnen will, als bereits errungenen, sensationellen Sieg deklarieren? Im Wissenschafts- und Medizinjournalismus ist vielen Medien dagegen offenbar nichts zu dumm für genau solche Schlagzeilen: "Neue Waffe gegen Krebs. Die Medizin-Sensation. Wie zwei Wiener Top-Ärzte Krebs mit Zelltherapie besiegen wollen", war vor wenigen Tagen auf einem großen Nachrichtenmagazin zu lesen.

Mindestens ebenso interessant sind im zugehörigen Artikel die vermeintlichen Belege für die Sensation: Da gab es Patientin A und Patientin B, denen es beiden bedauerlicherweise sehr schlecht ging. Dann kam die Therapie der Top-Mediziner, es ging ihnen wieder gut - also wirkt die Therapie!

Um nochmals den Vergleich mit dem Sport zu bemühen: Da gewinnt Mannschaft 1 zweimal hintereinander gegen Mannschaft 2 - wer würde nun glauben, dass Mannschaft 2 immer gewinnt?

Ebenso wie im Sport gibt es auch in der Medizin Glückstreffer und Zufälle: Nicht selten ist es nicht eine der zahlreichen (übrigens oft gleichzeitig) angewandten Therapien, die zu einer Besserung führen, sondern die beträchtliche Selbstheilungskraft des Körpers. Das aber lässt sich an Einzelfällen kaum unterscheiden. Aus diesem Grund haben seriöse Mediziner und Statistiker über viele Jahre hinweg Standards entwickelt, wie man solche Zufallserfolge möglichst sauber von der tatsächlichen Wirksamkeit einer Therapie unterscheidet.

Wer aus Heilungen bei einzelnen Patienten ohne glaubwürdige Daten aus einer größeren Studie gleich eine Medizin-Sensation macht, handelt nicht nur unseriös, sondern auch unethisch. Denn natürlich wecken Mediziner wie Journalisten damit gerade bei Schwerkranken, die nach jedem Strohhalm greifen würden, unberechtigte Hoffnungen. Falsche Sensationen wiegen hier schwerer als in der Berichterstattung über Fußball oder Skandälchen um Paris Hilton. Deshalb widmet der deutsche Pressecodex der Medizinberichterstattung sogar einen eigenen Paragraphen:

"Bei Berichten über medizinische Themen ist eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Befürchtungen oder Hoffnungen beim Leser erwecken könnte." In Deutschland würden einige Artikel über die vermeintlich sensationelle Immuntherapie aus Wien klar gegen den Codex verstoßen.

Zu viel Nähe?

Nun mag man aus der Distanz keinem der beteiligten Ärzte und Journalisten unterstellen, dass sie sich vielleicht etwas zu gut kannten, was wiederum für die positive Art der Berichterstattung förderlich gewesen sein könnte. Und selbst wenn - wie in diesem Falle - der Geschäftsführer einer Biotech-Firma beklagt, die Gewinnspanne der Zelltherapie betrage "unter 10 Prozent", bleiben bei Kosten von 14000 Euro unter dem Strich immer noch knapp 1400 Euro pro Behandlung hängen. Das ist so schlecht nicht.

Oft ist die Erklärung für eine gar zu sensationelle Medizinberichterstattung wie im Falle der Immuntherapie allerdings ganz banal: Sensationsdruck in den Medien, Unkenntnis, Unprofessionalität und vor allem zu viel Respekt vor der medizinischen Zunft. Ein Journalist, der statt großer, seriöser Studien bereits einzelne Heilungserfolge als Beleg für die Wirksamkeit einer Therapie akzeptiert, versteht sein Handwerk nicht. Und ein Journalist, der bei seinen Recherchen nicht merkt, dass gerade das Feld der Immuntherapie gegen Krebs (neben vielen seriösen Forschern) seit vielen Jahren auch durchsetzt ist von Geschäftemachern, hat nicht sauber recherchiert.

Mal heißt die Therapie "Aktive Spezifische Immuntherapie", dann "Dendritenzelltherapie", dann erfindet jemand einen neuen klangvollen Namen. In Deutschland ging eine manipulierte wissenschaftliche Arbeit auf diesem Gebiet vor wenigen Jahren sogar als Forschungsskandal national und interantional durch viele Medien. Das bedeutet nicht, dass nur Scharlatane auf dem faszinierenden Gebiet der Immuntherapie forschen. Es bedeutet aber, dass ein Journalist besonders vorsichtig recherchieren und eher zurückhaltend berichten sollte.

Und je mehr der Wettbewerb in Forschung und Medizin zunimmt, je stärker der Konkurrenzdruck unter Pharma- und Biotech-Firmen wächst, desto kritischer müssen Journalisten generell die Aussagen von Wissenschaflern und Ärzten hinterfragen. Auch Wissenschaftler müssen sich heute mehr verkaufen als früher – und Journalisten tun gut daran, deren Aussagen mindestens so genau zu überprüfen wie die von Fußballern oder gar von Politikern. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.6.2007)