Kunst und Kultur
Als die Bilder tanzen lernten . . .
Lucinda Childs mit Company bei "tanz2000.at" in Wien
Wien - Der Minimalismus im Tanz ist untrennbar mit Lucinda Childs verbunden. Mit ihrer 1973 gegründeten Company gab sie
bei tanz2000.at im Volkstheater ihr überfälliges Wien-Debüt.
Childs, eine der wesentlichen Repräsentantinnen des US-Post-Modern-Dance der 60er-Jahre, entwickelte in den 70ern unter
dem Einfluss Robert Wilsons ihre reduzierte, unverwechselbare, auf der Wiederholung und Variation simpelster Bewegungen
aufgebaute Tanzsprache. Bestes Beispiel dafür ist Dance, Childs persönlicher Klassiker aus 1979 zur Musik von Philipp
Glass, der als Mittelstück des Abends gegeben wurde.
Dance zeichnet sich durch ein ununterbrochenes Kommen und Gehen aus. Die in ihrer starren Körperhaltung und den seitlich
ausgestreckten Armen fast schon klassisch anmutenden acht Tänzer queren im Hüpfschritt und in nacheinander exakt
ausgeführten Drehungen auf gerader Linie die Bühne, kreuzen einander diagonal. Mit mathematischer Präzision werden
Bodenwege gestaltet.
Sol LeWitt hat die Choreographie im Film festgehalten, der wiederholt eingeblendet wird, das Bühnengeschehen überlagert
und einen zweiten imaginären Raum schafft. Soli, Duos und Quartette erfahren eine Verdoppelung, und durch perspektivische
Veränderungen erlebt man das Geschehen aus immer neuen Blickwinkeln.
Hypnotischer Sog
Großaufnahmen lassen Bewegungsdetails erkennen, die real kaum wahrnehmbar sind. Im Dialog mit der Musik schwillt der
Tanz zu einem reißenden motorischen Strom an. Der repetitive Charakter evoziert eine derartig hypnotische Wirkung, dass 60
Minuten wie im Flug vergehen.
Das Prinzip der Variation trifft auch auf das 1993 entstandene Concerto zur Musik von Henryk Górecki zu. Im Gegensatz zur
unnahbaren minimalistischen Strenge von Dance paart sich nun der rigide Bewegungskanon mit emotionaler Ausstrahlung.
Dieses in Schwarz gehaltene "Ballett" spielt sich vor goldgelbem Hintergrund ab und besticht durch fröhlich energiegeladenes
Agieren im richtigen Zeitmaß.
Vorangestellt war das vor kurzem uraufgeführte Description (of a Description) zur gleichnamigen Komposition von Hans Peter
Kuhn. Lucinda Childs, die in Produktionen von Robert Wilson an der Seite von Michel Piccoli als Schauspielerin reüssierte,
setzt sich hier selbst in Szene. Das Stück basiert auf Susan Sontags 1987 verfasstem Text Description (of a Description).
Childs, die an der Rampe kauert, rezitiert diese Beschreibung einer Befindlichkeit voll stimmlichem Timbre und
nuancenreicher Interpretation. An Wilsons klare Ästhetik erinnert der Hintergrund: Erhöht, in einem beleuchteten Fenster,
agiert mit stilisierter Gestik Junko Wada und vermittelt den Gehalt rein körperlich. Ein insgesamt intensives Programm, das
noch heute und teilweise morgen Freitag im Volkstheater zu sehen ist.
(Ursula Kneiss
-D
ER
S
TANDARD
, Print-Ausgabe, 10.8. 2000).