Dass Gore Vidal, der große US-Schriftsteller-Dissident und die "Neokonservativen" etwas gemeinsam haben könnten, wirkt auf den ersten Blick hochgradig unwahrscheinlich. Und doch ist es so: Sowohl Vidal als auch die Herren Wolfowitz, Feith und Co. waren und sind fasziniert von der griechischen und römischen Antike respektive von den Lehren, die das Altertum für Amerika bereithalten sollte. Erst vor ein paar Wochen hat die New York-Times-Kolumnistin Maureen Dowd darauf hingewiesen, dass sich die Neokonservativen "obsessiv" mit den alten Griechen beschäftigten und dass jeder, der auf sich hält, sich in Bezug auf Idealismus und Charakterstärke für einen "legitimen Nachfolger von Plato und Homer" betrachte.

Eine geschichtliche Parallele, die viele Beobachter seit Jahren zwischen dem alten Rom und den USA sehen wollen, ist die, dass beide von einer "Republik" zu einem "Imperium" übergegangen seien. Das ist, in dieser Verkürzung, irreführend, weil ein Imperium keine Regierungsform ist, sondern auf die geographische Ausdehnung eines nationalen Machtanspruchs abstellt.

Kein "Imperium"

Als 31 vor Christus die Stunde der römischen Republik schlug, folgte kein "Imperium", sondern die Kaiserzeit. Oder, anders betrachtet: Schon die Republik hatte "imperialen" Charakter, spätestens seitdem sich die Römer nach dem Ersten Punischen Krieg 241 v. Chr. Sizilien als Provinz einverleibt hatten. Richtig ist aber, dass die geografische Ausdehnung eines Reichs auch Konsequenzen auf dessen innere Regierungsbeschaffenheit hat. Durch die Zunahme der Verwaltungsanforderungen, die jede solche Ausweitung mit sich bringt, wird die Exekutive generell gestärkt, und natürlich steigen auch die entsprechenden Budgetkosten gewaltig.

Beides trifft für das Amerika unter George W. Bush zu: Der Bedeutungsverlust der Gerichte und des Kongresses ist ebenso Gegenstand anhaltender Kritik gewesen wie das exorbitante Budgetdefizit, das in erster Linie auf die Kosten für den Irakkrieg zurückzuführen ist. Wenn man die Parallelen noch weitertreiben will ,kann man in den periodischen Bagdad-Besuchen von Bush, Vizepräsident Dick Cheney und Pentagonchef Robert Gates ein spätes Echo auf die Amtsführung des "Reisekaisers" Hadrian erkennen, der zu einer Zeit, als das römische Reich seine größte Ausdehnung knapp überschritten hatte, vor allem an dessen Peripherie regieren musste, um dort nach dem Rechten zu sehen.

Historische Parallele

Für viele Amerikaner scheint die - angebliche oder tatsächliche - historische Parallele zwischen den USA und dem alten Rom eine große Anziehungskraft zu haben, und die These vom "imperialen Amerika" erfreut sich seit 9/11 anhaltender Beliebtheit in vielen Buchpublikationen, Blogs und Websites, die nicht immer nur "liberaler" Prägung sein müssen.

Gore Vidal, der ebenfalls die Theorie vom "imperialen Amerika" vertritt, meint, dass der ganze Spaß dann sein Ende finden werde, wenn sich die Amerikaner außerstande sehen, ihre weltumspannenden Interessen nachhaltig zu finanzieren. In dieser Überzeugung trifft er sich mit dem Buchautor Chalmers Johnson, der in der US-Politlandschaft lange als "Kalter Krieger" galt, aber nach 1989 zu einem erbitterten Kritiker der US-Außenpolitik wurde und im Februar dieses Jahres den dritten und abschließenden Band seiner viel beachteten Trilogie "Blowback" publiziert hat.

Byzantinische Kosten

Johnson hat viele beachtliche Argumente zu bieten; und besonders beeindruckend ist seine Übersicht über die byzantinischen (oder römischen?) Kosten, die das amerikanische Militär inzwischen verschlingt. Kein Mensch, weder im Kongress, noch im Pentagon selbst, meint Johnson, habe mehr einen Überblick darüber, was dieser Moloch an Ressourcen verlangt, aber die als militärische Kosten im Budget ausgewiesenen fünfhundert Milliarden Dollar würden bei Weitem überschritten, weil viele militärische Kosten unter falscher Flagge firmierten und möglicherweise eine Billion Dollar die zutreffendere Summe wäre, die hier zu veranschlagen ist. Bei solchen Berechnungen denkt man dann gerne ans alte Rom - respektive an die Abschiedsrede von Präsident Dwight Eisenhower, der den "militärisch-industriellen Komplex" 1961 als eine große Gefahr für die amerikanische Demokratie bezeichnete. (Christoph Winder, DER STANDARD, Printausgabe 23./24.6.2007)