Wien - Außenministerin Ursula Plassnik ist am Sonntag der These entgegengetreten, von der ursprünglich geplanten EU-Verfassung sei in dem am Samstag in Brüssel erzielten Kompromiss zum neuen Reformvertrag nicht viel erhalten geblieben. Mehr als 95 Prozent der Substanz seien gewahrt worden, betonte Plassnik in der ORF "Pressestunde". "Es stimmt nicht, dass nichts von dieser Verfassung übrig geblieben ist. Es ist das Gegenteil der Fall."

Der Vertrag sei in seinem institutionellen Gefüge intakt geblieben - auch jene Neuerungen, die den Bürgern insgesamt einen europäischen Mehrwert brächten, seien erhalten geblieben. Die Außenministerin nannte in diesem Zusammenhang unter anderem bessere Werkzeuge bei der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, die Rechtspersönlichkeit der EU, die Schaffung eines "de facto-Außenministers" sowie die Grundrechtecharta, die zwar nicht als Volltext im Vertrag, jedoch mittels eines Hinweises, der sie rechtlich bindend mache, verankert sei. Interessant seien auch Punkte, die aus der Debatte der vergangenen zwei Jahre neu hinzugekommen seien. So finde sich zum ersten Mal "an versteckter Stelle im Reparaturauftrag" eine Bestimmung, wonach Kompetenzen auch - in Richtung Mitgliedstaaten - zurückgenommen werden könnten.

"Sehr hartnäckige Einwände"

Zur polnischen Haltung bei den Verhandlungen über den neuen Reformvertrag sagte Plassnik, die "Quadratwurzel ist mausetot" und sei nun dorthin zurückgekehrt, wo sie hingehöre, nämlich in die Mathematikbücher. Es habe von polnischer Seite "sehr hartnäckige Einwände" gegeben, aber es habe auch andere gegeben, die die Gelegenheit genutzt hätten, "um ihre Vorstellungen mit Nachdruck zu vertreten", so etwa Großbritannien, das in einigen Punkte erreicht habe, dass Einiges zurückgenommen worden sei, was die österreichische Seite lieber in dem neuen Vertrag gehabt hätte.

Zur Bezugnahme Polens auf polnische Bevölkerungsverluste im Zweiten Weltkrieg bei seiner Argumentation in der Frage der Stimmgewichtung meinte Plassnik: "Da ist einem ein bisschen die Luft weggeblieben." Allerdings sei das europäische Einigungswerk gerade dazu da, um "Gräben zu überwinden" - mit dem Versuch, auch zu verstehen, "warum sie so sehr das Gefühl haben, im Eck zu sein und sich sträuben zu müssen". Polen habe auch einige "valable Punkte" eingebracht, so zum Beispiel in der Frage der Energiesicherheit.

Temelin

Angesprochen auf das Thema Temelin hielt Plassnik fest, dass das Verhältnis Österreichs zu Tschechien "sehr gut" sei: "Wir bemühen uns auch sehr darum, dass das so bleibt." Sie selbst habe einen "sehr dichten, laufenden Kontakt" zu ihrem tschechischen Amtskollegen Karel (Karl) Schwarzenberg. Sie habe ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass seine "Vorstellungen von Humor und von ironischer Ausdrucksweise manchmal anders sind als meine" und als die, "die die Österreicher so allgemein empfinden", sagte Plassnik unter Bezugnahme auf umstrittene Äußerungen Schwarzenbergs über Temelin-Gegner, die Grenzblockaden durchführen. Schwarzenberg habe ihr zudem gesagt, dass er bei der angesprochenen Gelegenheit "nicht 'Narren', sondern 'Spinner' gesagt" habe. (APA)