
Michael Musalek ist Psychiater und Leiter des Anton-Proksch-Instituts für Alkohol- und Medikamentenabhängige
Musalek: Diese Komorbidität ist sehr häufig. Siebzig Prozent der Alkoholpatienten am Anton-Proksch-Institut leiden auch an einer Depression oder Angststörung.
STANDARD: Führt Depression zum Trinken, oder schädigt zu viel Alkohol die Psyche?
Musalek: Die Frage haben wir uns lange gestellt und entschieden, dass sie irrelevant ist. Behandelt werden muss sowieso beides. Sonst steigt die Gefahr, dass der Patient in ein anderes Suchtmittel flieht, nämlich oft zu Medikamenten.
STANDARD: Besteht diese Gefahr nicht ohnehin, wenn Alkoholiker mit Antidepressiva behandelt werden?
Musalek: Antidepressiva machen nicht abhängig, weil sie ihre Wirkung nur entfalten, wenn jemand depressiv ist, ansonsten stellen sich nur unerwünschte Nebenwirkungen ein. Aber Tranquilizer und Schmerzmittel, die auch auf die Psyche wirken, können zu Suchtmitteln werden.
STANDARD: Werden depressive Patienten von Ärzten nach ihrem Trinkverhalten befragt?
Musalek: Leider selten. Alkohol wird nur angesprochen, wenn ein Patient dieses Problem offensichtlich hat. Problematisch daran ist, dass Alkohol die Wirkung von Antidepressiva aufhebt. Dann wird eher ein anderes Medikament versucht, als dass der Arzt herausfindet, warum das erste wirkungslos geblieben ist.
STANDARD: Sollten Ärzte stets nachfragen, wie viel ihre Patienten trinken, bevor sie etwas verschreiben?
Musalek: Obwohl Wechselwirkungen mit Medikamenten häufig sind, geschieht das noch immer zu selten. Wir hätten in der neuen Vorsorgeuntersuchung gerne ein paar Fragen zum Trinkverhalten gesehen, aber das ist auf großen Widerstand gestoßen.
STANDARD: Es gibt immer wieder Kampagnen, die das Bewusstsein für Depression schärfen sollen. Warum wird Alkohol da nicht erwähnt?