Wissenschaft
Zweiter Code im Erbe
Forscher in Wien bestätigen Histon-Hypothese
Wien - "Man kann die genetische Information wie eine Bibliothek betrachten, jedes Chromosom wäre dann ein Buch mit
vielen Kapiteln", vergleicht Molekularbiologie Thomas Jenuwein ("Institut für Molekulare Pathologie", IMP, Wien) gegenüber
dem STANDARD
, "und so, wie niemand gleichzeitig alle Bücher lesen kann, kann eine Zelle nicht immer auf einmal die
Gesamtinformation abrufen. Deshalb wird beides gekennzeichnet, Bücher durch Einbandfarben, Chromosomen durch
chemische Modifizierungen."
Sie werden an "Histone" angehängt, das sind Proteinkugeln, die die DNA im Zellkern verpacken: Das ist wichtig, damit die
enorm große DNA überhaupt in den Zellkern passt, sie wird durch die Verpackung wohl auch geschützt. Aber die Histone
sind nicht nur Kugeln, sie haben auch besondere Antennen ("Aminotermini"), mit denen sie in das biochemische
Zellgeschehen hineinlauschen.
Dort sind verschiedene Enzyme unterwegs, die Molekülgruppen transportieren und sie auf den Histonen platzieren können.
"Es gibt drei verschiedene Modifizierungen der Histonantennen - Acetylierung, Phosphorylierung, Methylierung -, das weiß
man schon lange", berichtet Jenuwein, "aber das erste mitwirkende Enzym wurde erst 1996 identifiziert, eines für
Acetylgruppen, und das erste für Phosphatgruppen folgte dieses Jahr. Uns ist nun der Durchbruch bei den Methyltransferasen
gelungen."
Damit hat Jenuwein mit seiner Gruppe und der Hilfe des "bioinformatischen Zaubereres" Frank Eisenhaber (IMP) die
Hypothese von David Allis (University of Virginia), dem weltführenden Forscher auf diesem Gebiet, bestätigt: Im
Informationssystem der Zellen gibt es nicht nur den genetischen Code, sondern noch einen zweiten, der ihn überlagert, den
"Histon-Code". In ihm gewichten die Histonmodifizierungsenzyme, welche Information für eine Zelle gerade wichtig ist -
sowohl in ihrer Entwicklung wie bei ihrer normalen Teilung.
Und diese Informationsgewichtung läuft über die Verpackungsdichte - das heißt zugleich: Zugänglichkeit - der DNA.
"Acetylierung macht die Verpackung weniger dicht, die Gene können dann abgelesen werden, Phosphorylierung induziert
hingegen höher geordnete Verpackungen", berichtet Jenuwein, "bei der Methylierung stehen wir noch am Anfang. Es sieht so
aus, dass sie Gene durch dichtes DNA-Verpacken abschaltet und damit die Zelle vor Überinformation schützt. Und wenn wir
die für das Enzym zuständigen Gene in Mäusen ausschalten, kommt es zu Tumoren, weil Gene falsch abgelesen werden
und bei der Zellteilung Chromosomen falsch verteilt werden." (Details: Nature, Vol. 406, S. 593) (Jürgen Langenbach//D
ER
S
TANDARD
, Print-Ausgabe, 10.8. 2000)