Kris Stewart, Gründungspräsident des AFC Wimbledon, erzählte aus dem vergnüglichen Leben in der siebenten Liga.

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Thomas Flögel im Hearts-Dress.

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Alles glänzend im Mutterland? Mit dem Status Quo des britischen Fußballs befasste sich am Freitagabend in der Wiener Hauptbücherei der diesmalige Club 2x11, die vom Fanzine "ballesterer", tipp 3 und den Büchereien Wien veranstalteten Diskussionsrunde.

Die handelsüblichen Eckdaten sprechen eine deutliche Sprache: der Inselfußball ist - was Finanzkraft, Infrastruktur und nicht zuletzt spielerisches Niveau der englischen Premier League betrifft - derzeit der avancierteste auf diesem Planeten. Das hinterlässt Spuren. "Ich wollte weinen", so schilderte der Ex-Internationale Thomas Flögel seine ersten 45 Minuten bei den Hearts of Midlothian. Es ging in Ibrox gegen die Glasgow Rangers und der Österreicher hatte sich mit Jörg Albertz auseinander zu setzen. "Mir ist vorgekommen, der ist fünf Köpfe größer als ich", sagt Flögel über den Deutschen. Doch er biss sich durch und blieb fünf Jahre in Schottland, von denen er heute noch schwärmt. Sogar der großen Paul Gascoigne lief ihm einmal auf dem Feld über den Weg. Mit das erste, was der Katholik beim protestantischen Klub aus Edinburgh lernte: "Bekreuzige dich ja nicht, wenn du reingehst!"

Wie Flögel am britischem Tempo-Spiel, finden sich unter der glamourösen Oberfläche des Inselkicks Entwicklungen, an denen auch und gerade der gemeine Fan zu leiden hat. Ebbe in der Geldbörse etwa. Kris Stewart, Mitinitiator der Neugründung des Fanvereins AFC Wimbledon und auch in der Anhängervereinigung "Football Supporters Federation" (FSF) engagiert, erklärt: "Viele Leute, die lange Jahre auf den Platz gegangen sind, können sich heutzutage keine Karten mehr leisten. Es gibt jetzt einen neuen Fernsehvertrag für Überseerechte an der Premier League. Wir haben ausgerechnet, dass die Klubs alle Anhänger gratis ins Stadion lassen könnten und trotzdem finanziell besser dastünden als davor - so viel Geld kommt da herein."

Der Publikumsaustausch habe auch dazu geführt, dass es in den Stadien leiser geworden ist. Die berühmte Atmosphäre verflüchtigt sich zusehends, seit jene zunehmend verdrängt werden, die für den Rabbatz gesorgt haben. Das hängt auch mit dem Verbot von Stehplätzen in den beiden Top-Ligen zusammen. Stewart: "Ein absurder Zustand. Ist das Stehen in der dritten Liga etwa nicht gefährlich? Wenn Klubs aufsteigen, müssen sie ihre Terraces verschwinden lassen. Obwohl die Menschen, die dort stehen, ja dieselben bleiben."

Dass die "englische Krankheit" Hooliganismus weitgehend geheilt ist, darüber war man sich einig. Doch das schlechte Image von England-Fans sei eben sehr verfestigt. Viel Arbeit wird nötig sein, um es zu verändern, seufzte Linda Herlehey von der britischen Botschaft in Wien. Die Fortschritte hätten auch mit deutlich verbesserter Polizeiarbeit zu tun. Die britische Exekutive sei im Umgang mit Fans mittlerweile sehr erfahren, ihre deeskalierenden Strategien greifen. Das bestätigte auch Stewart.

Die Sicherheitsstandards bei den Vereinen sind hoch, die Stewards müssen bestimmte Ausbildungsstandards erfüllen: "Früher waren das Typen wie die Rausschmeißer in Nachtklubs - nur mit weniger Hirn." Polizeibeamte mit Helmen und Schlagstöcken auszurüsten und sie unvorbereitet in ein Stadion zu schicken (die italienische Methode) reiche eben nicht. Das "3D-Prinzip" (Dialog/Deeskalation/Durchgreifen), an dem sich die österreichische Exekutive bei der Europameisterschaft im kommenden Jahr orientieren soll, klinge denn auch ermutigend, fand Herlehey.

Kritik erfuhr die immer weiter voranschreitende Kommerzialisierung. Die Tycoons müssten zwar nicht unbedingt schlechte Menschen sein, meinte Stewart. Doch dass sie dem Fußball Schlimmes antun, das stehe fest. Er werde den Leuten zunehmend entzogen. Stewart kam gleich sein ganzer Klub, der FC Wimbledon, abhanden, den sein Besitzer kurzerhand in die 80 Kilometer von London entfernte Reißbrettstadt Milton Keynes versetzte. "Wir hatten folgende Optionen: die Sache akzeptieren, Queens Park Rangers unterstützen, Fußball vergessen und einfach shoppen gehen, oder: einen neuen Verein gründen."

Natürlich wurde letzteres gewählt und es hat sich ausgezahlt: Das Baby heißt AFC Wimbledon. "Wir fahren jetzt in Orte, von denen wir nie zuvor gehört haben. Wir genießen einfach den Fußball und das ein oder andere Getränk", schwärmt Stewart vom Leben in der siebenten Liga. "Wir sind schon zweimal aufgestiegen und haben Aldershot geschlagen. Aber der größte Erfolg ist, dass wir noch einen Klub haben."

Doch selbst im Unterhaus finden sich die Big Spender. Leute, die unglaublich viel Geld in Klubs pumpen, die gerade einmal 200 Zuschauer haben. "Wenn mit dem Typen dann etwas ist, wenn er keine Lust mehr hat oder stirbt - dann sind die Vereine ganz schnell verschwunden."

Und Flögel sagt: "Alles ändert sich, läuft schneller. Alles wird teurer." Er klagt über das Übel der Spieleragenten. Die treiben die Preise und gaukeln ihren Klienten Traumwelten vor: "Sie sagen Leuten, die nicht gerade laufen können, sie schaffen es zu Real. Bei einem Transfer ins Ausland musst du mittlerweile zehn Leute bezahlen - und nicht immer kriegt der Spieler das Meiste." (Michael Robausch)