Der Unterschied spricht Bände. Vor ziemlich genau einem Jahr erschien in der Berliner taz ein satirisches Porträt über den polnischen Staatspräsidenten Lech Ka_czyñski mit dem Titel "Polens neue Kartoffel". Der Präsident sagte daraufhin kurzfristig die Teilnahme an einem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef Jacques Chirac in Weimar ab, offiziell wegen einer Erkrankung.

Der wahre Grund wurde offenkundig, als Warschau von der deutschen Bundesregierung eine offizielle Distanzierung vom taz-Artikel verlangte. Berlin lehnte unter Hinweis auf die Pressefreiheit ab.

Auf die Pressefreiheit verweist eine gelassene deutsche Kanzlerin auch jetzt im Konflikt um die Titelbild-Montage des polnischen Wochenmagazins Wprost ("Geradeaus"), die eine barbusige Merkel als "Stiefmutter Europas" zeigt, Lech Kaczyñski und dessen Zwillingsbruder Jaros³aw, den Regierungschef, stillend. Hingegen hat der polnische Rat für Medienethik Wprost gerügt: Die Grenze des guten Geschmacks sei überschritten worden.

Als das Magazin vor knapp vier Jahren auf der Titelseite die Vorsitzende des deutschen Vertriebenenbundes und CDU-Abgeordnete Erika Steinbach in SS-Uniform, triumphierend auf Kanzler Gerhard Schröder reitend, zeigte, gab es eine solche Abmahnung nicht. Nach der Brüsseler Einigung auf den EU-Reformvertrag, die von Polen fast verhindert worden wäre, meinte Steinbach: "Es ist gut, dass so radikale Nationalisten wie die Brüder Kaczyñski lernen mussten, dass man in einer gemeinsamen EU nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen kann."

Nun ist auch Steinbach nicht über jeden Verdacht des Nationalismus erhaben. Wenn aber selbst so besonnene Politiker und engagierte Europäer wie Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker das Auftreten der Kaczyñski-Brüder gegenüber dem Rest der EU nur noch mit Kopfschütteln quittieren, dann wird klar, wie sehr sich die polnische Führung vergaloppiert hat. Sollte Warschau, wie Premier Kaczynski soeben ankün_digte, die Debatte über die Stimmengewichtung bei der EU-Regierungskonferenz im Herbst tatsächlich neu eröffnen wollen, wird sich Polen weiter isolieren.

Dann würde der Verhandlungserfolg, über den die Zwillinge jetzt frohlocken und dabei auf breite Zustimmung in der Bevölkerung und der Opposition verweisen, vollends zum Pyrrhussieg. Schon jetzt spricht etwa Irena Lipowicz, ehemalige polnische Botschafterin in Österreich, von großen Folgekosten und einem nachhaltigen Imageschaden für ihr Land. Lipowicz trat als Deutschland-Beauftragte der polnischen Regierung zurück, nachdem die Kaczyñskis den Anti-EU-Populisten Andrzej Lepper in die Regierung geholt hatten.

Jetzt erhielten die Zwillinge das höchste Lob für ihren Brüsseler "Sieg" ausgerechnet von der postkommunistischen Demokratischen Linken, die sie innenpolitisch vehement bekämpfen. Und was sagt die größte Oppositionspartei, die rechtsliberale Bürgerplattform (PO), laut Umfragen Polens stärkste Partei? Nach den Worten von PO-Chef Donald Tusk hat die deutsche Kanzlerin in Brüssel einen verspäteten Sieg errungen, während die Kaczyñskis Polen eine verspätete Kapitulation eingehandelt hätten. Polens derzeit Regierende hätten "die Aussöhnung mit Deutschland nicht verinnerlicht", meint Jean-Claude Juncker. Das scheint nicht nur für die Regierenden zu gelten.

Und wie steht es um die Regierten? In einer polnischen Umfrage vom April 2007 hatten 86 Prozent der Polen eine positive Einstellung zur EU. Im jüngsten Eurobarometer waren 69 Prozent der Polen für eine EU-Verfassung und 76 Prozent für eine zusätzliche Erweiterung der EU.

Polen zähle zu den integrationsfreundlichsten Gesellschaften Europas, stellt der polnische Soziologe und Politologe Jacek Kucharczyk in einer aktuellen Analyse fest. Und weiter: "Der Missklang zwischen der polnischen öffentlichen Meinung und der Politik der gegenwärtigen Regierung, die darauf ausgerichtet ist, die Integrationsprozesse zu verlangsamen, ergibt sich vor allem daraus, dass eine glaubwürdige politische Repräsentation der pro-europäischen Wählerschaft fehlt." Damit freilich ist Polen nicht allein in der EU. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 30.6./1.7.2007)