Ali Isleyen, geboren 1949 in der türkischen Stadt Afion, musste 1975 aus der Türkei flüchten. In Österreich erhielt er schließlich, nach eineinhalb Jahren eine Arbeitsgenehmigung: Er arbeitet zunächst auf Baustellen, dann 15 Jahre bei Ikea. Nach einem Bandscheibenvorfall, Operationen und Lähmungserscheinungen ist er seit 1999 als teilinvalid pensioniert. Die Lähmungen sind nach langen Krankenhausaufenthalten und Therapie verschwunden, doch die anderen gesundheitlichen Probleme sind geblieben.

Foto: Heidi Weinhäupl

Auch die Leitung des von ihm aufgebauten Integrationsvereins Eurasya hat Ali Isleyen mittlerweile an seinen Sohn Yusuf abgegeben, er bleibt jedoch ein vielgesuchter Ansprechpartner für Jung und Alt – von der Sommerschule bis zum Seniorenkurs.

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Ali Isleyen kam 1976 aus der Türkei nach Österreich, arbeitete auf Baustellen, als Lagerarbeiter und Verkäufer, bis er nach einem Bandscheibenvorfall pensioniert wurde. Heute fühlt er sich als Inländer in Österreich, aber "niemand akzeptiert das". Auch in der Türkei werde er als Fremder gesehen: "Dort sagen die Leute: Schau, da kommt ein Deutscher", erzählt er im derStandard.at-Interview Heidi Weinhäupl. Seine Pension will er daher hier verbringen. Für sein hohes Alter, falls er ins Altersheim muss, wünscht er sich türkischsprachige Betreuung.

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derStandard.at: Warum sind Sie damals nach Österreich gekommen?

Ali Isleyen: Ich musste aus der Türkei flüchten. Ich flog dann nach Frankreich, wurde abgeschoben, kam nach Jugoslawien, Italien, in die Schweiz, nach Amsterdam, dann nach Deutschland – und schlussendlich landete ich in Wien. Und hier war dann mein Geld zu Ende, obwohl ich in der Türkei nicht zu den Armen gehört habe.

derStandard.at: Wie haben Sie hier die ersten Jahre gelebt, was waren Ihre Eindrücke von Österreich?

Isleyen: Damals in Österreich, da gab es keine türkischen Geschäfte, Moscheen, Lokale – damals waren wir zu wenige Leute hier. Das war 1976. Ich kannte auch niemanden. Die ersten eineinhalb Jahre lebte ich eigentlich wie ein Sandler. Oft habe ich im Mistkübel Essen ausgegraben, wenn der Markt geschlossen hat, wenn es finster wurde. Ich habe viel Hunger gehabt. Manchmal habe ich ausgeholfen gegen ein warmes Essen, geputzt für 200 Schilling in der Woche. Eine Sekretärin hat mir dann eine Arbeitsbewilligung besorgt – ich habe sie so umarmt und überall hin geküsst, auf den Kopf, auf die Hand, ich habe so eine Freude gehabt. Ich habe dann auf einer großen Baustelle gearbeitet, am Franz Josef Bahnhof, im Akkord, jeden Tag. Dann konnte ich meine Frau besuchen und meine drei Kinder. Ich hatte sie zwei Jahre nicht gesehen. Nach einigen Jahren stellte mich Ikea als Lagerarbeiter ein, später wurde ich Verkäufer, Abteilungsleiter.

derStandard.at: Und dann sind Sie geblieben?

Isleyen: Am Anfang hatte ich schon Heimweh, aber dann habe ich meine Frau nachgeholt, meine drei Kinder. Und ich habe mich gewöhnt, den Nachbarn kennen gelernt, die Nachbarin. Nach fünf Jahren habe ich das erste Mal Urlaub gemacht. Aber da war ich hier schon adoptiert, auch die Kinder hatte schon viele Freunde.

derStandard.at: Wo fühlen Sie sich heute zu Hause?

Isleyen: Ich fühle mich hier wie ein Inländer – niemand akzeptiert das in Österreich, aber ich fühle mich zu Hause.

derStandard.at: Halten Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie und Freunden in Ihrem alten Zuhause?

Isleyen: Ja, zwei Schwestern und meine Mutter leben dort. Ich pendle ein bisschen, voriges Jahr war ich viermal dort – aber meine große Familie ist hier, in Österreich habe ich mehr Kontakte. Schauen Sie, fremde Leute sind wirklich heimatlos. Ich habe einen Grund und ein großes Haus dort – aber wenn ich in die Türkei fliege, ist es ganz egal, dass ich dort geboren bin, ich bin wie ein Fremder. Die Leute sagen: "Schau, da kommt ein Deutscher." Wenn ich nach Österreich komme, fühle ich mich zu Hause, aber für die Leute bin ich trotzdem ein Fremder. Ich bin heimatlos.

derStandard.at: Und wo wollen Sie begraben werden?

Isleyen: Wenn ich gestorben bin, ist mir das ganz egal, da kann man mich irgendwo eingraben. (lacht) Das soll dann meine Familie entscheiden.

derStandard.at: Was sollte sich politisch oder gesellschaftlich in Österreich ändern?

Isleyen: Es gibt hier keine türkischsprachige Betreuung im Altersheim, das fehlt sehr. Die erste Generation versteht zu wenig Deutsch – sie haben Brustschmerzen und sagen dem Arzt "Halsschmerzen". Damals gab es keine Deutschkurse, wir haben hart gearbeitet, auf der Baustelle, haben nie gut Deutsch gelernt. Auch ich habe nie einen Deutschkurs gemacht. Ich wünsche mir, wenn ich noch älter bin, wenn ich vielleicht in ein Altersheim gehen muss, auch auf türkisch reden zu können. Auch die Medienberichterstattung sollte sich ändern – man sollte auch Positives über Fremde berichten. (Heidi Weinhäupl, derStandard.at 5.7.2007)