Der "Ansturm" deutscher Studierender auf österreichische Medizin-Unis, über den in Österreich lautstark lamentiert wird, ist keineswegs eine Einbahnstraße: Mehr und mehr österreichische Medizin-Absolventen treten ihren Beruf in Deutschland an. Roman Schneider ist einer von ihnen. Er will nicht Taxi fahren, sondern Neurologe werden. Darum verließ der 30-Jährige im April 2006 Wien und arbeitet jetzt im Helios-Spital in Aue in Sachsen. Viele seiner Kommilitonen fahren heute wirklich Taxi. Sie warten nach dem Studienabschluss auf einen freien Platz, um ihre Turnusausbildung zu beginnen. Die Ausbildung macht sie zu Allgemeinärzten und dauert drei Jahre. Genauso lange warten manche auf ihren Turnus. Auf einen Platz kommen zwei Bewerber.

Roman Schneider bewarb sich im Zivildienst nach dem Studium auf ein Inserat in einer deutschen Ärztezeitung. Im Helios-Spital mit seinen 17 Abteilungen arbeitet er derzeit in der Psychiatrie. Klischees über ruppige Ostdeutsche oder marode Infrastruktur kann er nicht bestätigen, im Gegenteil: "Die Klinik spielt alle Stückeln." Von den 165 Ärzten in Aue kommen mittlerweile sechs aus Österreich.

Trotzdem: "Ostdeutschland ist einfach nicht so attraktiv", räumt Spitalsgeschäftsführer Markus Funk ein. "Kliniken in der Provinz sind oft nicht an eine Universität angeschlossen. Man kann also kaum forschen." Außerdem könne man abends und am Wochenende weniger unternehmen. So fehlt es in Ostdeutschland an Ärzten, während in Berlin knapp 500 Ärztinnen und Ärzte arbeitslos gemeldet sind und Österreich unter einer Ärzteschwemme ächzt.

Die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) will ihren jüngsten Mitgliedern keine dreijährigen Warteschleifen zumuten. Sie gründete vor sieben Jahren die Jobbörse "Alle Chancen der Welt", um die jungen Mediziner dorthin zu vermitteln, wo sie gebraucht werden - zum Beispiel ins Erzgebirge. "Damals war das ein absoluter Notnagel", erzählt Peter Gschaider, bei der ÖÄK zuständig für die Jobbörse. Heuer brachten 400 Absolventen ihre Bewerbungsmappen mit, als die Börse Ende März in Wien, Graz und Innsbruck Station machte, etwa die Hälfte des Abschlussjahrgangs. Gschaiders Vermittlungsquote liegt bei 15 bis 20 Prozent. Allein die Personalchefs der Helios-Kette nahmen 60 Bewerbungen mit.

Die ostdeutschen Vorzüge hat Gschaider schnell aufgezählt: Die jungen Ärzte könnten gleich mit ihrer Allgemein- oder Facharztausbildung beginnen, statt auf einen Turnusplatz zu warten. Die meisten Abschlüsse und Zulassungen erkennen Deutschland und Österreich gegenseitig an. Außerdem seien die Spitäler sehr gut ausgerüstet: "Durch die Maßnahmen nach 1989 sind sie in einem Zustand, nach dem sich westliche Klinikchefs die Finger lecken."

Ostdeutschland als Ventil für die österreichische Ärzteschwemme: Peter Gschaider sieht darin einen gewissen Ausgleich für die vielen deutschen Medizinstudenten, die vor dem Numerus clausus nach Österreich flüchteten. Das Szenario, wonach Österreich die Ärzte ausgehen, wenn die Deutschen nach dem Studium geschlossen nach Hause zurückkehren, hält Gschaider für unwahrscheinlich - zumal er im Notfall auf die jungen Kollegen zurückgreifen könnte, die er selbst nach Deutschland vermittelt hat. Die haben dann nämlich eine fertige Facharztausbildung in der Tasche, die Österreich als gleichwertig anerkennt. "Außerdem", sagt Gschaider, "wird wohl der eine oder andere deutsche Arzt in Österreich bleiben."

Ob Roman Schneider eines Tages nach Wien zurückkehrt, weiß er nicht. "Wenn, dann erst in ferner Zukunft. In Wien habe ich keine Perspektive." (Daniel Kastner aus Aue in Sachsen/DER STANDARD-Printausgabe, 3. Juli 2007)