Ja, es gibt auch gute Nachrichten, etwa, dass in Tansania nach der Abschaffung der Schulgebühren und der Erhöhung der Bildungsausgaben die Zahl der Grundschüler bereits ein Jahr nach der Festlegung der Millenniumsziele um 50 Prozent stieg. Aber: Während das Wirtschaftswachstum in China und Indien die Lebensumstände in diesem Teil Asiens drastisch verbesserte, stieg die Armut in den GUS-Staaten zwischen 1990 und 2005 extrem an.

Im Jahr 2005 verloren 15 Millionen Kinder weltweit einen oder beide Elternteile an die Immunschwächekrankheit Aids. Jedes Jahr sterben eine halbe Million Frauen in Südasien und Sub-Sahara-Afrika während der Schwangerschaft oder Geburt. Und das alles ist so beschämend, weil es verändert werden könnte. Die Vereinten Nationen haben soeben Halbzeitbilanz über die Entwicklungsziele gezogen, die sie im Jahr 2000 setzten. "Zurzeit ist nur eine der acht Regionalgruppen auf dem Weg, alle Millennium-Entwicklungsziele zu erreichen", steht in dem Report.

Die Ziele wären erreichbar gewesen, darüber ist man sich einig. Wer hat also versagt? UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte die Industriestaaten auf, sofort mehr Geld herauszurücken. Denn ohne einen Anstieg der Entwicklungshilfe sei es selbst für gut regierte Länder unmöglich, die UN-Ziele zu erreichen, so lautet seine Analyse. Tatsächlich haben die acht größten Industrienationen 2005 versprochen, ihre Entwicklungshilfeausgaben bis 2010 zu verdoppeln, im Vorjahr gingen sie jedoch zurück. Doch unter Experten ist umstritten, ob der Big Push, also eine Verdoppelung der Hilfsgelder die Verwirklichung der UN-Ziele tatsächlich viel näher bringt. Big Push - Theoretikern wie Jeffrey Sachs zufolge fehlt es den Armen vor allem an Sparvolumen, zusätzliches Geld soll daher den Kapitalstock erhöhen.

Kritiker sprechen hingegen von einem Zielkonflikt der beteiligten Akteure. So sei etwa die Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF) und die der Gebergemeinschaft inkohärent. Ersterer zielt auf Währungsstabilität, Entwicklungshilfen sind aber zur Armutsreduktion gedacht. Einer Evaluation des IWF zufolge konnten die afrikanischen Entwicklungsländer zwischen 1999 und 2005 nur 28 Prozent der internationalen Hilfsgelder nutzen. Denn der IWF legt ihnen auf, die Staatsausgaben bei Erhalt von Entwicklungshilfegeldern zu verringern, um eine Inflation zu verhindern. Der Harvard-Ökonom Dani Rodik nannte in diesem Zusammenhang das Ende eines einheitlichen Liberalisierungskurses (Washington Consensus) des IWF und der Weltbank kürzlich sogar "Washington Confusion".

Auch Karin Küblböck von der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (Öfse) stellt in ihrem Artikel "Schmerztherapie statt Ursachenbekämpfung" den Big Push infrage. Zahlreiche Untersuchungen in den vergangenen Jahrzehnten konnten demnach keinen kausalen Zusammenhang zwischen höherer Entwicklungshilfe und steigendem Wachstum feststellen. Küblböck spricht zudem von einer Entpolitisierung der Debatte, da Armut als rein technisches Problem, als ein Fehlen von Mitteln, dargestellt würde.

Dies wertet sie wiederum als politischen Akt jener, die die Macht haben, den Diskurs zu bestimmen. Denn eine strukturelle Änderung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den reichen und den armen Ländern werde durch eine Big-Push-Strategie gar nicht erst diskutiert.

Die Liberalisierung der Märkte, zusätzliche Entwicklungsgelder und Entschuldungen haben in Schwarzafrika tatsächlich nicht zu dem gewünschten armutsmindernden Wachstum geführt. Dem UN-Report zufolge nahmen die Privilegien im Marktzugang für die ärmsten Ländern in jüngster Zeit nicht zu, sondern stagnierten höchstens. Viele afrikanische Staaten können auch aufgrund bürokratischer Hürden nicht davon profitieren.

Küblböck moniert zudem, dass die Verteilung des Einkommens nicht in den Entwicklungszielen Eingang fand. Ein hohes Maß an Ungleichheit bremse aber das Wachstum, weil viele keinen Zugang zu produktiven Tätigkeiten haben. Tatsächlich zeigt der UN-Report, dass der Anteil des ärmsten Fünftels der Bevölkerung in Entwicklungsländern am Konsum von 4,6 Prozent auf 3,9 Prozent fiel. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.7.2007)