Am Montagabend in Straßburg feierte sich Nicolas Sarkozy in einer Europarede vor allem als Retter des alten Kontinents. Auch wenn der neue Staatschef nicht Napoleon ist, ist ihm zugute zu halten, dass er den letzten EU-Gipfel zusammen mit Angela Merkel aus dem Sumpf gezogen und damit dem deutschen Vorsitz doch noch einen Erfolg beschert hat. Und Sarkozys treuer Sekundant, Premier François Fillon wies gestern in seiner Regierungserklärung darauf hin, dass nach dem Nein der Bürger zur EU-Verfassung Frankreich wieder zur Dynamisierung der EU-Integration beitrage.

Sarkozy aber bereits als den Retter Europas darzustellen, wäre verfrüht. Und vielleicht gänzlich verfehlt. Denn wer bei der Erklärung Fillons - und damit auch Sarkozys - genau hinhörte, kam nicht um den Eindruck herum, dass sich die neue französische Führung wenig um die europäischen Vorgaben kümmert.

"Wir werden unsere Staatsschuld auf unter 60 Prozent des Bruttosozialproduktes bringen", posaunte Fillon, "und werden spätestens 2012 eine ausgeglichene Budgetsituation erreichen." 2012, das ist spät. Denn die europäische Vorgabe ist klar: 2010 müssen die Vorgaben des Stabilitätspaktes eingehalten werden. Frankreich wird also in drei Jahren das einzige der größeren EU-Länder sein, das beim gemeinsamen europäischen Vorhaben, die Budgetdefizite dramatisch zu senken, nicht mitmacht. Das verträgt sich schlecht mit Sarkozys Europa-Bekenntnis.

Was doppelt gravierend ist: Fillon wird sich einzig an nationalen Vorgaben orientieren: 2012 ist nämlich das Datum der nächsten Präsidentenwahl, und solange hat sich Sarkozy mit der Erfüllung seiner Wahlversprechen Zeit gegeben. Zum anderen sind die EU-Stabilitätskriterien ja nicht bloße Zahlenspiele, sondern Kern der europäischen Strukturreformen, die dem Ober-Reformer Sarkozy eigentlich ein vorrangiges Ziel sein müssten. Doch er gibt lieber seinen Wahlversprechen und -ausgaben den Vorrang. Die Reduktion des Budgetdefizits muss also "pausieren", wie es im eleganten Jargon der Pariser Ökonomen heißt.

Fillon, dessen EU-Engagement vielleicht tiefer geht als das des Opportunisten Sarkozy, war gestern selbst nicht ganz wohl bei seiner Ankündigung, dass er über die EU-Vorgabe von 2010 hinwegsieht. Er distanzierte sich von Sarkozy, der nicht müde wird, auf die Währungspolitik der Europäischen Zentralbank einzuhauen. "Dass die Schwäche des Dollar und des Yuan die Aufgabe unserer Exporteure nicht erleichtert, steht außer Frage", meinte Fillon ähnlich wie Sarkozy, der unverblümt eine Abwertung des Euro verlangt. "Aber das Problem liegt nicht nur dort", fügte der Premier sogleich an. Fillon gibt damit zu, dass Frankreich in erster Linie vor seiner eigenen Haustür kehren muss, bevor es die monetären Entscheide der Zentralbank für die eigenen Exportprobleme verantwortlich macht.

Doch dieses indirekte Eingeständnis Fillons blieb in Paris bisher ein Einzelfall. Die Wirtschaftsberater, die smarten Sarko-Boys im Elysée-Palast, übersehen nicht nur die EU-Vorgaben in Sachen Stabilitätspakt. Sie beachten auch sonst nicht gerne europäische Beschlüsse. Als am Montag der gesamte EU-Strommarkt liberalisiert wurde, stellte sich die Regierung in Paris schützend vor die Electricité de France, die alles unternimmt, um ihr Monopol zu wahren. Auch eine neues Rechtsverfahren Brüssels wird daran nichts ändern.

Gestern Dienstag suchte Paris zudem im Airbus-Dossier einmal mehr nationale Interessen durchzusetzen, als sie den Abgang des deutschen Thomas Enders am Airbus-Mutterhaus EADS "vorankündigten" - Enders wusste allerdings davon gar nichts.

Sarkozy betont zwar immer wieder, Airbus müsse endlich unternehmerisch und privatwirtschaftlich geführt werden, damit die gesamte europäische Luftfahrtindustrie gegenüber der US-Konkurrenz Boeing bestehen könne - aber gleichzeitig hintertreibt er genau dieses Anliegen mit seinen Interventionen. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.7.2007)