Im russischen Burjatien ist der Leichnam eines Buddhisten auch nach 80 Jahren nicht verwest. Experten beraten abermals über den Mönch im Lotussitz. Eduard Steiner aus Moskau.
Burjatien ist nicht die Gegend, die für Schlagzeilen prädestiniert ist. Fünfeinhalbtausend Kilometer östlich von Moskau, umschlossen vom Baikalsee und der Mongolei, befindet sich zwar der größte in Stein gemeißelte Leninkopf, ansonsten freilich hat das Leben seinen eigenen Rhythmus. Weil dort aber auch der Tod nach eigenen Regeln zu spielen scheint, macht der Landstrich doch von sich reden. Genauer gesagt das buddhistische Kloster (Dazan) im Dörfchen Iwolginsk. Begonnen hat alles am 11. September 2002. Damals wurde im Kloster, das immer noch das Zentrum der russischen Buddhisten ist, das würfelige Grabgefäß des Lama Chambo Itigilow Daschi-Dorscho geöffnet. Darin entdeckten die verblüfften Mönche aber nicht die Asche, sondern den im Lotussitz erstarrten einstigen Klostervorsteher.
Objekt der Verehrung
Das "Wunder" dabei: Der Chambo-Lama war bereits 1927 verstorben. Achtzig Jahre später zeigt der Leichnam keine Ansätze zur Verwesung und verharrt weiterhin in Meditationspose. Und dies, obwohl der Leichnam weder einbalsamiert noch mumifiziert war und nach der Sargöffnung der Sauerstoffumgebung, die gewöhnlich den Verwesungsprozess auslöst, ausgesetzt worden ist. Weil der Leichnam seine Feuchtigkeit behalten hatte, haben die Fenster des Glassarkophages, in den er nach der Exhumierung gesetzt wurde, beschlagen.
Für buddhistische Gläubige ist der Leichnam zum Objekt der Verehrung geworden. Buddhistische Theologen erklären das Phänomen der Nichtverwesung damit, dass der Chambo-Lama die Oberste Realität aller Erscheinungen, die Leere, erfasst und beim Sterben seinen Körper so gereinigt hat, dass er nicht verwest. Wissenschafter hingegen rätseln nach wie vor, weshalb sich eine Reihe von Körpereigenschaften – etwa die Eiweißverbindungen der Zellen – des Lama von denen eines lebenden Menschen nicht unterscheiden. "Seine Gelenke biegen sich, das Weichgewebe lässt sich eindrücken wie bei Lebenden, und nach der Öffnung des Grabgefäßes entströmte daraus ein Wohlgeruch", sagte die Leiterin des Lama-Erforschungsprojektes, Galina Jerschowa, vor drei Jahren: Die Untersuchung von Körperteilen des Lama in der Moskauer Gerichtsmedizin bestätigte die Verblüffung.
Expertenforum
Der Lama hatte sich gegen Ende seines Lebens in Meditationspose begeben. Als seine Schüler befanden, dass er verstorben sei, hatten sie ihn in einen Würfel aus Zederndielen gelegt. Der Lama verfügte vor seinem Tod, das sein Grab nach 30 Jahren zu öffnen sei, wo man ihn lebend vorfinden würde. Bereits 1955 und 1973 waren die Mönche dem Vermächtnis nachgekommen, die medizinischen Untersuchungen begannen aber erst vor fünf Jahren. Zum 80. Todestag des Lama haben sich 150 internationale Gelehrte zu einem Expertenforum im Kloster versammelt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.7. 2007)