Im "Türkischen Haus zum Wohlfühlen" sollen sich die derzeit 21 Senioren mit türkischer Küche und Pflegern betreut werden.

Foto: Marseille Kliniken AG
Foto: Marseille Kliniken AG

Wien - Eine Sorge weniger. Das servierte Fleisch stammt definitiv nicht vom Schwein. Da können sich die Bewohner des ersten türkischen Altenheims in Berlin sicher sein. Türk Huzur Evi – "Türkisches Haus zum Wohlfühlen" – will alles für den türkischen Ruhestand bieten: Heimische Küche, einen Gebetsraum gen Mekka und Personal, das einwandfrei Türkisch spricht. Seit Dezember 2006 ist die Pflegeeinrichtung in Berlin-Kreuzberg eröffnet. Zurzeit beherbergt sie 21 Menschen. Die Leiterin und gelernte Krankenschwester Nejab Kaba-Retzlaff erklärt im Gespräch mit derStandard.at das Konzept türkischer Altenpflege und warum herkömmliche Einrichtungen mit Migranten überfordert sind.

 

derStandard.at: Warum spezialisiert sich Ihr Altenpflegeheim ausschließlich auf die türkische Minderheit?

Kaba-Retzlaff: Weil jene Gastarbeiter, die vor etlichen Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind, alt geworden sind. Wir wollen diesen älteren Menschen etwas bieten. Das sind die türkische Sprache, die Küche und auch Mitarbeiter, die eine eigene Migranten-Erfahrung haben. Hier können die Senioren mit ihrer Migrationsgeschichte verstanden werden. Damit ist es eine ganz andere Qualität von Pflege.

derStandard.at: Würde es denn zu kompliziert werden, wenn man Menschen anderer Nationalitäten in dieses Konzept mit einbezieht?

Kaba-Retzlaff: Im Grunde genommen gibt es diesbezüglich keine Modelle. Solche Einrichtungen, die sich interkulturell öffnen wollen, machen wenig Angebote, weil sie überfordert damit sind, mit allem – wie z.B. diversen Festlichkeiten – gerecht zu werden. Dazu brauchen sie einfach eine hohe Flexibilität in ihrem Arbeitsablauf und auch interkulturelle Kompetenzen. So weit ist die Altenpflege noch nicht. Wünschenswert wäre es natürlich schon. Außerdem haben wir bei unseren türkischen Mitmenschen ein sprachliches Problem. Die gehen in den Einrichtungen unter und fühlen sich einsam.

derStandard.at: In wiefern unterscheiden sich denn die Bedürfnisse von türkischen Senioren von jenen der Deutschen?

Kaba-Retzlaff: Das ist alles zu pauschal. Bei Gastarbeitern, die hier enorm viel geleistet haben, jetzt gebrechlich sind, die viel früher alt geworden sind und Erfahrung mit Diskriminierung gemacht haben, gehört viel mehr dazu, als das man gesättigt und gepflegt wird. Wenn man alt geworden ist und Menschen um sich herum hat, die einen nicht mehr verstehen, muss man sich unheimlich Mühe geben. Bei uns werden sie verstanden.

Ich glaube, die Bedürfnisse unterscheiden sich nicht besonders. Sie sind ja nicht anders. Sie bekommen nur das, was ihren Bedürfnissen entspricht. Es ist nicht kühl und distanziert. Sie wollen sich ausdrücken und verstanden werden. Eine Einrichtung, die nur ein oder zwei Gastarbeiter hat, kann das nicht bieten, weil sie sich nur auf die Mehrheit spezialisiert hat und nicht so flexibel ist.

derStandard.at: Ist Integration im Alter kein Thema mehr?

Kaba-Retzlaff: Das kann ich so nicht sagen. Jeder Mensch funktioniert ein bisschen anders. Natürlich gibt es Ältere, die sich dort wohl fühlen, wo es viele Nationalitäten gibt, weil sie es gewohnt sind und weil sie es sich wünschen. Aber andere haben andere Erfahrungen gemacht. Die haben viel Diskriminierung erfahren, können gar kein Deutsch mehr oder sie sind so krank, dass die deutsche Sprache einfach nicht behalten wurde. Wir bieten eine Option an, wo die Menschen hingehen können. Das hat mit gescheiterter Integration nichts zu tun. Es wird auch oft gesagt, das ist eine Monokultur. Das ist aus meiner Sicht Quatsch.

derStandard.at: Da es in Ihrem Haus ausschließlich Türken gibt, ist der Vorwurf der Ghettoisierung nicht weit?

Kaba-Retzlaff: Da sieht man wieder, wie schnell die Mehrheitsgesellschaft die ehemaligen Gastarbeiter in Schubladen steckt. Sie sind hier keine Monokultur. Die wenigen Menschen, die hier leben, sind alle anders. Jeder bringt seine ganz spezielle Kultur mit.

derStandard.at: Gab es Protest von der türkischen Gemeinde, dass man sagt: ‚Es kommt nicht in Frage, dass wir unsere Verwandten in so eine Einrichtung abschieben’?

Kaba-Retzlaff: Es fällt ihnen nicht leicht, ihre Angehörigen hier abzugeben. Sie fühlen sich sehr verantwortlich für die Alten. Vielen traditionsbewussten Menschen passt das nicht in den Kopf. Wir machen diesbezüglich sehr viel Aufklärung. Die Menschen brauchen sehr viel Zeit um sich zu entscheiden. Sie kommen oft hierher und schauen sich um.

derStandard.at: Wird sich das Haus in Zukunft für andere Kulturen öffnen?

Kaba-Retzlaff: Da wir noch neu sind, wollen wir vorläufig diese Linie verfolgen.

(sand, derStandard.at/5.7.2007)