Netzpolitik
Kritik an Definition "offener Standard"
FSFE: Nutzung und Implementierung muss unentgeltlich und frei sein - Massachusetts lässt sich auch Office Open XML zu
Im deutschen Bundestag wird heute, Mittwoch, der Antrag 16/5602 diskutiert, in dem Unternehmen und öffentlicher Verwaltung die Verwendung "offener Standard" in der Dokumentenverwaltung nahe gelegt wird. Die Definition der offenen Standards stößt jedoch auf Kritik. Die Formulierung, die Nutzung der Standards "muss zu fairen und diskriminierungsfreien Konditionen lizenziert werden" widerspreche der Definition von Freier Software, kritisiert Joachim Jakobs, Sprecher der Free Software Foundation Europe (FSFE)
im Gespräch mit pressetext.
Definitionen
Die Definition ist an den angelsächsischen Rechtsbegriff RAND (Reasonable And Non-Discriminatory) angelehnt. Dabei handle es sich aber eben nicht um offene Standards, sondern lediglich um die Zusicherung, dass Lizenzen zu einem einheitlichen Gebührenniveau angeboten werden. Die Nutzung freier Software müsse für jedermann unentgeltlich und frei von ausschließenden Lizenzbedingungen zulässig sein, fordert Jakobs. Zentrale Streitfrage in dem Konflikt um offene Standards ist, ob die Spezifikationen von Microsofts OXML (Open XML) die Anforderungen erfüllen, um als "offen" zu gelten oder ob allein ODF (Open Document Format) so zu bezeichnen ist.
Standards
OXML vernachlässige verschiedene, vom W3C empfohlene Standards und benutze stattdessen eigene, herstellerspezifische Formate, so die FSFE. Dadurch werden alle anderen Hersteller, wenn sie OXML vollständig implementieren wollen, gezwungen, sich in die proprietäre Infrastruktur einzuordnen, die durch Microsoft in den vergangenen 20 Jahren aufgebaut wurde. Es erscheine fraglich, ob ein Dritter diese Spezifikation jemals in derselben Qualität wie Microsoft implementieren können wird, so die Kritiker. "Es ist für einen Standard unverzichtbar, dass er von jedem Hersteller umgesetzt werden kann, ohne dass dieser auf die Kooperationsbereitschaft anderer Firmen angewiesen ist, auf verborgene zusätzliche Informationen zugreifen, zusätzliche juristische Abkommen schließen, oder Zahlungen leisten muss. Ebenso muss ein Standard gewährleisten, dass alle Hersteller ihn, ohne mit Wettbewerbern kooperieren zu müssen, in der gleichen Qualität und im selben Umfang verwenden können, um die notwendige Interoperabilität zu erreichen", so die FSFE.
Gesetz
"Die Fragen, die heute von den Abgeordneten geklärt werden müssen, sind, ob wir freie Software per Gesetz aus der öffentlichen Verwaltung ausschließen wollen und wer damit die Kontrolle in der Informationsgesellschaft haben soll", sagt Jakobs. "Die Gesellschaft als Ganzes oder ein einzelnes Unternehmen? Letzteres wäre etwa so, wie wenn die Straßenverkehrsordnung von einem Autohersteller gemacht würde." In der Praxis hat der Softwareriese aus Redmond den Vorteil, dass es bereits viele Dokumente gibt, die mit der Office-Büro-Software erstellt wurden und somit von dem Programm am besten wiedergegeben werden können. Kritiker sehen aber eben hier gravierende Probleme - wer sich für ein von Microsoft kontrolliertes Dateiformat entscheidet, begebe sich in ein Abhängigkeitsverhältnis. "Es besteht das Risiko, dass eine Verwaltung, die sich für Microsoft-Dateiformate entscheidet, die Hoheit über ihre Daten verliert", gibt Georg Greve, Präsident der FSFE, zu bedenken.
Offen
Der US-Bundesstaat Massachusetts wich kürzlich von dem im September 2005 eingeschlagenen Weg ab und hat OXML als offenes Dateiformat anerkannt. Massachusetts war der erste US-Bundesstaat, der sich dafür entschied, seinen Behörden die Verwendung des offenen standardisierten Bürodatenformats ODF vorzuschreiben. Die jetzige Entscheidung könnte Signalwirkung für andere Staaten haben. (pte)