Bild nicht mehr verfügbar.

"Ich hätte niemals die NSDAP gewählt": Martin Walser (80) reagierte bestürzt auf "Enthüllungen" der Zeitschrift "Focus".

Foto: AP/Fritz Reiss

Eine Solidaritätserklärung unter Großschriftstellern erfuhr Günter Grass dieser Tage bei einem Besuch in New York. Bei der Vorstellung der englischen Ausgabe von "Beim Häuten der Zwiebel" äußerte Norman Mailer, dass er sich vorstellen könnte, dass er selbst in einer vergleichbaren Situation der Waffen-SS beigetreten wäre, wie es Grass in den späten Tagen des Zweiten Weltkriegs getan und dann lange verschwiegen hatte.

Mailer hat vor wenigen Monaten einen Roman vorgelegt, der auf sehr spekulative Weise Adolf Hitlers Kindheitsgeschichte verarbeitet ("The Castle in the Forest"). Das allgegenwärtige Interesse am Nationalsozialismus kann ihm also nur Recht sein, wie auch Günter Grass von dem "Skandal", den er mit seinem späten Geständnis auslöste, noch einmal ins Zentrum der literarischen Öffentlichkeit geschleudert wurde. Dort thront er seither und schleudert Zornesblitze gegen die Medien.

Nur mit Martin Walser ließ er sich kürzlich auf Veranlassung der "Zeit" zu einem langen, unergiebigen Interview nieder, in dem es auch um eine "Kultur der Bezichtigung" ging - womit Walser vermutlich auch die kritischen Reaktionen auf seine Rede in der Frankfurter Paulskirche 1998 meinte, in der er im Zusammenhang mit Auschwitz von "Drohroutine" und "Moralkeule" gesprochen hatte.

Der Knüller

Letzten Samstag veröffentlichte die deutsche Zeitschrift "Focus" die Nachricht, dass in der Zentraldatei der Mitglieder der NSDAP auch Karten der späteren Schriftsteller Martin Walser und Siegfried Lenz sowie des nachmaligen linken Kabarettisten Dieter Hildebrandt aufgefunden worden waren. Alle drei zählen zu den Hitlerjugend-Jahrgängen 1926 und 1927 und erklärten umgehend, von einem Aufnahmeantrag nichts gewusst und sicher keinen unterschrieben zu haben.

Inzwischen haben mehrere Historiker die Möglichkeit von Mitgliedschaften, denen keine persönliche Entscheidung zugrunde lag, eingeräumt. Es gab Massenaufnahmen, und die Erklärungen von Hildebrandt ("Rufmord") und Walser ("Ich hätte niemals die NSDAP gewählt") werden als "glaubwürdig" eingeschätzt.

Die Veröffentlichung als solche hat also Fakten zugänglich gemacht, die erst zu interpretieren sind. Auf diese Arbeit der Differenzierung hat "Focus" verzichtet, weil dadurch womöglich eine weniger eindeutige Darstellung notwendig geworden wäre als das simple Vermelden des Aufsehen erregenden Faktums. Im Interesse eines Knüllers hat "Focus" ungenügend recherchiert - schon ist der Sturm im zunehmend dünnwandiger werdenden Wasserglas der deutschen Öffentlichkeit entfacht. In der "Süddeutschen Zeitung" hat Franziska Augstein die Situation so beschrieben: "Es fällt auf, dass zunehmend Intellektuelle als Parteigenossen geoutet werden, die zeit ihres Lebens linksliberale Ansichten vertreten haben." Das impliziert, dass es nicht ganz zufällig ist, welche Informationen wann an die Öffentlichkeit gelangen.

Tatsächlich dürfte sich vor allem Walser von "Focus" gemeint fühlen (Siegfried Lenz, schwer krank, konnte persönlich nicht reagieren; Dieter Hildebrandt wird nicht unbedingt als Intellektueller wahrgenommen). Er hat sich wiederholt an zentralen geschichtspolitischen Debatten beteiligt, er hat sich früh für die deutsche Wiedervereinigung ausgesprochen, er kam mit Tod eines Kritikers selbst in den Verdacht des Antisemitismus. Kann die "Focus"-Nachricht seine Stellung in der Öffentlichkeit beschädigen?

Kaum. Walsers Positionen zur Vergangenheitsbewältigung sind sicher nicht durch seine Jugendbiografie motiviert, sondern durch zunehmende Ungeduld mit der deutschen Öffentlichkeit. Die Medien wiederum reagieren zunehmend störrisch auf den autoritären Gestus von Autoren, die sie selber über Jahrzehnte in diese Position geschrieben haben. Da tut es gut, wenn man wie Grass in New York als Weltliterat auftreten kann, während in der Heimat kleine Schlammschlachten toben.

Für jüngere Schriftsteller gibt es keine Gnade der späten Geburt, solange die Kriegsgeneration immer noch die ganze Aufmerksamkeit auf sich konzentriert. (Bert Rebhandl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.7.2007)