Innsbruck/Wien – Die Alterseinschätzung bei jungen Flüchtlingen muss "durch geeignete Sachverständige" erfolgen. Und im Zweifelsfall müssen Behörden die Frage der Volljährigkeit oder Minderjährigkeit zugunsten des Asylwerbers, also des Jugendlichen entscheiden. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) festgestellt. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat in Wien zeigt sich über das wegweisende Erkenntnis erfreut: "Nun werden sich alle Behörden, die mit möglicherweise minderjährigen Asylsuchenden beschäftigen, danach richten müssen", meint Roland Schönbauer.

Anlass für die VwGH-Entscheidung war die Beschwerde eines jungen Mannes aus Sierra Leone, der im Zuge der Verfahrenshilfe durch den Innsbrucker Anwalt Michael Goller vertreten wurde. Der Jugendliche konnte vor dem Bundesasylamt keine Dokumente vorlegen, hatte sich beim Geburtsdatum auf Angaben seiner Mutter berufen.

Das Bundesasylamt bezweifelte die Angabe, stellte fest, er sei volljährig, die Abschiebung zulässig. Der Unabhängige Bundesasylsenat (UBAS) hatte die Berufung abgewiesen. Die Volljährigkeit wurde vom UBAS mit dem "äußeren Erscheinungsbild", "Ausstrahlung" und "reifem Auftreten" begründet. Zudem wurde betont, dass die Verhandlungsleiterin "über eine mehrjährige Erfahrung im Umgang mit afrikanischen Asylwerbern aufweist".

Der Gerichtshof hält jedoch eine "mehrjährige Erfahrung" nicht für die nötige "besondere fachliche Qualifikation" zur Alterseinschätzung. Bereits in bisherigen Erkenntnissen steht, dass der "persönliche Eindruck" oder der "Augenschein" nicht ausreichen. Jetzt stellt der VwGH fest, dass es "im Regelfall einer Untersuchung und Beurteilung durch geeignete (zumeist wohl medizinische) Sachverständige" bedarf. Und zweitens, dass "im Zweifelsfall von dem vom Asylwerber angegebenen Geburtsdatum auszugehen" ist.

Das UNHCR meint, die Beurteilung von Erscheinungsbild und Reife sollte durch Ärzte und Psychologen mit Erfahrung erfolgen. Auch Anny Knapp von der Asylkoordination findet das Prinzip richtig, das vom angegebenen Alter auszugehen ist. Über medizinische Sachkenntnis hinaus sei auch und interkulturelle Erfahrung nötig.

Unbegleitete Minderjährige sollten in einem altersgemäßen Umfeld und Quartier leben und intensiver betreut werden als Erwachsene. Sie sind besser vor Schubhaft geschützt: Ein gelinderes Mittel sollte angewandt werden. Der Asylantrag muss dort geprüft werden wo er gestellt wurde, nicht im "sicheren Drittstaat". (Benedikt Sauer, DER STANDARD - Printausgabe, 6. Juli 2007)