Die Demokratie ist im Vormarsch. Diktaturen verschwinden, der öffentliche Widerstand gegen die wenigen, die übrig sind, wächst. Noch ist das Ziel nicht erreicht. Der Kapitalismus feiert zwar Triumphe, von der Demokratie lässt sich das im selben Ausmaß nicht sagen.

Die Verbindung zwischen Kapitalismus und Demokratie ergibt sich nicht automatisch. Freiwillig verzichten totalitäre Regierungen nicht auf ihre Macht, dazu kommt, dass sie oft von wirtschaftlichen Interessengruppen im In- und Ausland unterstützt werden, vor allem wenn Bodenschätze auf dem Spiel stehen, wie Erdöl und Diamanten. Die größte Bedrohung der Freiheit sind möglicherweise unheilige Allianzen zwischen Regierung und Wirtschaft - Fujimoris Peru, Mugabes Simbabwe, Mahatirs Malaysia und das Russland der Oligarchen -, wo unter dem Deckmantel demokratischer Verfahren Staatsmacht zum Vorteil privater Interessen abgezweigt wird.

Nicht nur Profit

Kapitalismus schafft Vermögen, doch kann man sich nicht auf ihn berufen, wenn es um Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geht. Die Antriebskraft ist der Profit; er ist nicht geeignet, universelle Prinzipien zu schützen. Und auch die Erhaltung der Marktwirtschaft setzt mehr als Eigeninteresse voraus: Wer am Wettbewerb teilnimmt, will gewinnen, und die meisten würden den Wettbewerb am liebsten abschaffen. Daher darf man die Freiheit, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht den Marktkräften überlassen; dafür benötigen wir institutionelle Schutzvorrichtungen.

Traditionell ist die Aufgabe des Nationalstaates die Wahrung allgemeiner Interessen. Doch die Macht des Nationalstaates begann mit der Globalisierung der Kapitalmärkte zu schrumpfen. Da das Kapital Steuern und Reglementierungen umgehen kann, bemühen sich die Staaten, seinen Anforderungen gerecht zu werden. Das hat Vorteile. Der freie Wettbewerb erzeugt mehr Reichtum als staatliche Kontrolle; die Globalisierung hindert Staaten daran, ihre Macht zu missbrauchen und bietet gleichzeitig eine Freiheit, wie das ein Staat in diesem Ausmaß nicht schaffen könnte.

Doch die Globalisierung hat auch ihre Schattenseiten: Finanzmärkte sind instabil; der freie Wettbewerb führt zu nationalen und internationalen Ungleichheiten oder betont sie; kollektive Interessen, angefangen von der Friedenssicherung, den Menschenrechten bis zum Umweltschutz, lässt er links liegen. Um die Vorteile der Globalisierung zu genießen, müssen wir diese Mängel auf internationaler Ebene beheben.

Leider sind internationale Gremien wie die UNO ungeeignet, universelle Interessen zu schützen, da sie Vereinigungen von Staaten sind und diese eifersüchtig ihre eigenen Interessen schützen. Dazu kommt, dass die Mängel nationaler Bürokratien sich in der internationalen Bürokratie vervielfältigen.

In der Welt von heute brechen Konflikte häufiger innerhalb eines Staates als zwischen Staaten aus. Für die Menschen, die in Diktaturen leben, ist der Schutz von außen der einzige Rettungsanker. Demokratische Staaten dürfen schwere Menschenrechtsverletzungen nicht hinnehmen und sind verpflichtet, in innere Konflikte einzugreifen. Aber selbst wenn sie sich weigern, hineingezogen zu werden, sind sie mit Flüchtlingsströmen und Gefahren aller Art konfrontiert.

Falsche Sanktionen

Sobald ein Konflikt ausbricht - wie das Jugoslawien gezeigt hat - haben die meisten Strafmaßnahmen unbeabsichtigte Folgen. Handelsembargos fördern den Schleichhandel, Schmuggler stecken im Allgemeinen mit Behörden unter einer Decke, sodass die Sanktionen die Regierung stärken statt sie zu stürzen. Militärische Interventionen bringen häufig die Opposition zum Schweigen.

Prävention ist daher besser als Intervention; die sinnvollste Art und Weise, Krisen zu verhindern, ist es, die Entwicklung von offenen Gesellschaften zu fördern. Damit ist das Netzwerk meiner Stiftungen beschäftigt. In einer offenen Gesellschaft ist es möglich, dass Menschen verschiedenster Herkunft, verschiedenster Meinungen und Interessen friedlich zusammenleben. So, wie die menschliche Natur beschaffen ist, sind Konflikte unvermeidlich, aber die Gefahren, dass sie zu Krisen ausarten, die eine Intervention von außen notwendig machen, sind bedeutend geringer.

Kriterien der Freiheit

Ich plädiere dafür, dass entwickelte Demokratien gemeinsam die Entwicklung der Demokratien in weniger begünstigten Teilen dieser Welt fördern. Und zwar in Form von technischer Hilfe und wirtschaftlichen Anreizen. Wirtschaft und Politik sind nicht zu trennen. Mit Amartya Sen, 1998 Nobelpreisträger für Wirtschaft, bin ich der Ansicht, dass die Entwicklung eines Landes nach den Kriterien der Freiheit, nicht des Bruttosozialprodukts zu definieren ist.

Der Abstand zwischen Armen und Reichen wird immer größer. Es ist höchste Zeit, diesem Trend entgegenzuwirken. Ein System, das den Verlierern keine Hoffnung auf einen neuen Anfang bietet, ist in Gefahr, durch Akte höchster Verzweiflung zerstört zu werden. Wirtschaftshilfe dagegen stärkt demokratische Tendenzen, und sie ist ein Druckmittel gegen widerspenstige Regierungen.

Leider findet diese Idee nur wenige Anhänger. Die Wirtschaftshilfe scheiterte in Afrika und den postkommunistischen Staaten, und sie ist am Balkan in Gefahr. Das ist kein Grund, den Mut zu verlieren. Vielmehr müssen wir die Gründe des Scheiterns untersuchen und bessere Wege finden. Nur zu oft ist die Wirtschaftshilfe so ausgerichtet, dass sie die Bedürfnisse des Gebers, nicht des Empfängers befriedigt. Dank der Erfahrung mit meinen Stiftungen in Ländern wie Russland weiß ich, dass Hilfe von außen sehr wirkungsvoll sein kann.

Die jüngsten Reparaturen in der globalen Finanzarchitektur nach den Börsendebakeln weltweit haben vor allem eine größere Marktdisziplin zum Ziel. Marktfundamentalisten wollen nicht akzeptieren, dass Finanzmärkte von Natur aus instabil sind. Marktdisziplin läuft darauf hinaus, der Instabilität Vorschub zu leisten. Für globale Finanzmärkte erfüllt eine globale Zentralbank oder eine ähnliche Institution den Zweck, heftige Turbulenzen abzufangen.

Dasselbe gilt für die Welthandelsorganisation (WTO). Arbeitsstandards und Umweltschutz sind eine absolute Notwendigkeit. Für arme Länder ist das ein teurer Luxus. Statt zu strafen wäre es sinnvoller, armen Ländern Anreize zu geben, wie z. B. Zollermäßigungen, um den Anforderungen gewachsen zu sein.

Die vor kurzem eingesetzte Meltzer-Kommission des US-Kongresses schlägt vor, die Weltbank aus einer Leihanstalt in eine Weltentwicklungsbehörde zu verwandeln. Aber die Kommission will die Weltbank schwächen, indem sie nicht verwendetes Kapital an die Aktionäre zurückführt - eine der Haupttransfer-Ressourcen an die Reichen. Ich würde mit nicht verwendetem Kapital die Subventionstätigkeit der Bank ausbauen.

Die Weltbank sollte von der Praxis abgehen, von den Empfängerregierungen für Kredite eine Bürgschaft zu fordern, da sie dadurch den Regierungen die Kontrolle überlässt, welche Unternehmen oder Gemeinden subventioniert werden. Diese Kontrolle hemmt die Evolution der offenen Gesellschaften.

Eine neue Allianz

Ich schlage daher eine Allianz aller offenen Gesellschaften vor, um zwei Ziele zu erreichen: Entwicklung von offenen Gesellschaften auf nationaler und auf internationaler Ebene. Dafür ist einerseits Entwicklungshilfe notwendig und andererseits der Ausbau internationaler Institutionen, zum Beispiel eine Weltzentralbank und eine Weltentwicklungsbehörde.

Diese Allianz setzt Zusammenarbeit auch der Zivilgesellschaften voraus. Regierungen vertreten die Interessen des Staates, demokratische Regierungen auch die Wünsche ihrer Wählerschaft. Nur wenn die Menschen an eine offene Gesellschaft glauben, die nationale Grenzen überschreitet, wird es möglich sein, die Idee zu verwirklichen. Bis jetzt wurden Zivilgesellschaften zur Zerschlagung von internationalen Institutionen mobilisiert, wie vor kurzem die Demonstrationen in Seattle und Washington D.C. gegen die WTO und die Weltbank zeigen. Wir müssen diesen Trend umkehren und Energien zur Schaffung einer globalen offenen Gesellschaft mobilisieren.

© Project Syndicate, Prag 2000
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