Eine einheitliche Meinung zum Schulsystem gibt es unter den Eltern nicht, berichtet Gerald Netzl.

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Bildung beginnt bei der Geburt, meint Gerald Netzl, neuer Vorsitzender des Dachverbandes der Elternvereine öffentlicher Pflichtschulen. Die Vorschule müsse deshalb für alle Kinder Pflicht sein. Bei den Plänen zur Schulreform gehen die Meinungen der Eltern laut Netzl auseinander, es gebe sowohl Hoffnung als auch Befürchtungen. Von Unterrichtsministerin Claudia Schmied wünscht er sich mehr Mitbestimmungsrechte, will aber nicht ihr "Einflüsterer" sein. An welche Umstiegsszenarien sich LehrerInnen gewöhnen müssen, erzählt er im Interview mit Elisabeth Oberndorfer.

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derStandard.at: Die Parteien streiten sich derzeit über Frühförderung in Kindergarten und Vorschule. Wann soll ihrer Meinung nach Bildung beginnen und welche Verantwortung tragen Eltern dabei? Brauchen wir ein verpflichtendes Vorschuljahr?

Netzl: Bildung und Lernen beginnt ab der Geburt des Menschen. Es ist nachgewiesen, dass die Aufnahmefähigkeit und Lernfähigkeit gerade bei Vorschulkindern sehr stark ist. Deshalb sind Kindergärten keine reinen Aufbewahrungsstätten, sondern Bildungseinrichtungen.

Alle Kinder sollen zumindest ein Jahr vor der Volksschule ein Vorschuljahr als Teil des schulischen Bildungsangebotes absolvieren, wobei eine Kooperation zwischen Kindergarten und Volksschule sinnvoll ist. Notwendige bauliche Maßnahmen und die soziale Staffelung der Elternbeiträge müssen aus Bundesmitteln mitfinanziert werden.

derStandard.at: Was halten Sie von den Plänen für die Neue Mittelschule? Was ist der Konsens unter den Eltern?

Netzl: Die Pläne, die derzeit vorliegen, sind noch nicht sehr entwickelt. Im Ministerium wird in den nächsten Monaten noch viel Hirnschmalz eingesetzt werden müssen, die Expertenkommission hat ihre Tätigkeit ja auch erst vor kurzem begonnen. Wenn die Konzepte vorliegen, werden sie von der Elternseite bewertet werden.

Konsens unter den Eltern gibt es darüber, dass die individuelle Förderung der Kinder unbedingt verstärkt werden muss. Eine einheitliche Elternmeinung zur Neuen Mittelschule gibt es nicht. Es gibt ein breites Spektrum von Meinungen, Hoffnungen aber auch Befürchtungen – zur Neuen Mittelschule, aber auch zum bestehenden differenzierten Schulsystem. Dieses breite Spektrum findet sich auch in den Elternvereinen und in unserem Dachverband.

derStandard.at: Welche Wünsche haben Sie an die neue Unterrichtsministerin Claudia Schmied?

Netzl: Der Ausbau der Schulpartnerschaft ist ein formuliertes Ziel des Regierungsprogramms. Hier setze ich auf schulpartnerschaftlichen und pädagogischen Dialog. Ein erster Schritt zum Ausbau der Individualisierung des Unterrichts wäre das Erstellen und Umsetzen der seit 2005 vom Unterrichtsministerium verlangten "standortspezifischen Förderkonzepte" und ein Mehr an Einladungen zur Elternbeteiligung im Bereich Schulentwicklung und Qualitätssicherung.

Nicht einverstanden ist mein Verband mit einer vom Unterrichtsministerium in den "Ergänzungen zur Stellenplanrichtlinie" geplanten Maßnahme, durch die "sprengelfremde" SchülerInnen nicht mitgezählt werden sollen, wenn es um die Teilung einer Klasse geht. Konkret ist vorgesehen, dass eine Klasse mit 26 SchülerInnen nicht geteilt werden kann, wenn sich ein sprengelfremdes Kind, also eines aus einem fremden Schulbezirk, in der Klasse befindet. Dies ist eine Diskriminierung von Kindern. Hinter dieser Maßnahme vermute ich eine Reaktion des Ministeriums auf Versuche einzelner Bundesländer, durch "kreative" Schülerverteilung zusätzliche LehrerInnenposten herauszuschlagen. Dabei zahlen Kinder drauf, die in die Schule zu ihrem eigentlichen Bezirk länger pendeln als in eine sprengelfremde Schule. Hier ist das Bildungssystem als Ganzes gefordert, es darf nicht sein, dass Kinder dadurch benachteiligt werden!

derStandard.at: Thema LehrerInnenausbildung: Soll heute noch jeder der will LehrerIn werden dürfen? Wenn nicht, was sind Ihre Vorschläge für Auswahlverfahren?

Netzl: Niemand darf einem jungen Menschen seinen Berufswunsch versagen! Die Realität ist, dass die Motivation von jungen LehrerInnen überdurchschnittlich hoch ist, diese mit zunehmendem Berufsalter tendenziell abnimmt. Dabei darf man allerdings nicht verallgemeinern.

Einerseits muss genug Geld ins Bildungssystem gesteckt werden und müssen bessere Rahmenbedingungen hergestellt werden. Andererseits geht es auch darum, Umstiegsszenarien für LehrerInnen zu entwickeln. Welcher Arbeitnehmer in Österreich macht 40 Jahre lang den gleichen Job? Fluktuation, Flexibilität und Mobilität sind tatsächlich Fremdwörter für unsere LehrerInnen. Die Verantwortung dafür trägt das System, das ist halt der Preis der überdurchschnittlich hohen Sicherheit des Arbeitsplatzes. Ein Kompromiss müsste möglich sein.

derStandard.at: Die schulfesten Lehrerstellen laufen aus. Für Eltern ein Erfolg, oder nicht von Bedeutung?

Tendenziell ein Erfolg, aber es kommt auf den Einzelfall an. Wie gesagt, höhere Flexibilität sollte zu einer Verbesserung führen, damit Härtefälle vermieden werden. Eine Versetzung der nicht-schulfesten Volksschullehrerin nach gerade mal zwei Schuljahren ist nicht nur schlecht für die Lehrerin, sondern auch für ihre SchülerInnen.

derStandard.at: Wie soll mit Kindern mit mangelnden Deutschkenntnissen umgegangen werden, und wie sollen fremdsprachige Kinder integriert werden?

Netzl: Ich wehre mich gegen die Gleichsetzung von Kindern mit mangelnden Deutschkenntnissen und Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache. Studien besagen, dass der sozioökonomische Hintergrund des Kindes für seine Deutschkenntnisse verantwortlich ist.

Die Lösung besteht aus einem Mix verpflichtender vorschulischer Angebote und zusätzlicher Förderung in der Schule. Das kostet halt Geld, das die öffentliche Hand zur Verfügung stellen muss.

derStandard.at: Wie soll diese Förderung genau aussehen?

Netzl: In Vorschule und Kindergarten müssen Wortschatz, Aussprache und Grammatik forciert werden, in der Regelschule wird dann gezielt und individuell an den noch vorhandenen Schwächen gearbeitet. Es ist ja leider manchmal so, dass schlauen Migrantenkindern die schulische Karriere verbaut bleibt, nur weil sie in Deutsch Defizite haben.

derStandard.at: Wird die Elternvertretung in politische Entscheidungen ausreichend miteinbezogen? Wünschen Sie sich mehr Mitbestimmungsrechte?

Netzl: Nein, die Elternvertretung wird in politische Entscheidungen nicht ausreichend miteinbezogen. Hier wäre auf jeden Fall mehr drin. Es geht mir persönlich aber nicht darum, der erste Einflüsterer von Frau Ministerin Schmied zu sein.

Schulpartnerschaft und Schuldemokratie muss vor allem an den Schulen vor Ort stattfinden. Dort wo Elternvertreter als gleichberechtigte Partner auftreten, wo offen diskutiert wird und Entscheidungen gemeinsam von LehrerInnen und ElternvertreterInnen getroffen werden, dort geht etwas weiter.

Den Profit davon haben alle: Kinder, Eltern und LehrerInnen, deren Arbeitszufriedenheit steigt. Das sagt sich natürlich leicht. Wenn alle Eltern und noch viel mehr die LehrerInnen über die vorhanden gesetzlichen Mitbestimmungsrechte Bescheid wüssten und danach handelten wäre schon viel erreicht. (derStandard.at, 13. Juli 2007)