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Im schädelförmigen "Theatrum Anatomicum" vorm Kunsthaus Bregenz, benannt nach den (Sezier-)Auditorien der Renaissance, wird eher nur geschmaust.

Foto: APA/MIROMEDIA.NET
... sollte niemand betreten, der ungern aus Schweinsblasen trinkt oder Angst vor Chefanästhesisten hat.

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Bregenz - Seit wenigen Tagen ragt auf dem KUB-Platz in Bregenz ein 22 Meter hoher Tierschädel empor. Die Skulptur wurde aus gebogenen Leimbindern gezimmert und mit einer Haut aus PVC-Folie überzogen. Sie beherbergt das Theatrum Anatomicum des Künstlers Paul Renner, benannt nach jenen steil aufragenden Auditorien der Renaissancezeit, in denen Anatomieprofessoren (verbotenerweise) Leichen sezierten.

An sechs Abenden wird hier ein gastronomisches, gesellschaftliches und philosophisches Gesamtkunstwerk inszeniert, ein Monument des Rausches, der Verschwendung und der Vergänglichkeit. 133 Sitzplätze sind in drei Etagen rund um einen "Seziertisch" in Form eines Sarges angeordnet. Tisch, Bühne und Projektionsfläche in einem. Darauf bereiten wechselnde Küchenequipen ihre Speisen vor, darauf werden von oben Filme projiziert, hier wird die Sau durchs Dorf getrieben.

Der erste Abend hieß Gas-Night, der Name spielt auf das Narkotikum Lachgas an, das einst als Betäubungsmittel und als küchentechnisches Hilfsmittel zum Einsatz kam. Ersteres wurde mittels Schweinsblasen inhaliert, die der Chefanästhesist und Theoretiker des Rausches, Michael Jay, mutigen Kandidaten auf die Bühne reichte. Mit Lachgas können aber auch gemuste Lebensmittel aus Siphonflaschen geschäumt werden.

Aufruf zum Betrinken

Das katalanische Team rund um Charles Abellan (ein ehemaliger Kompagnon jenes Nahrungsmittel-Dekonstruktivisten Ferran Adrià, der zurzeit auch für die Kasseler documenta "kocht"), bereitete auf diese Weise ein vielgängiges Menü etwa aus Tomaten-, Erdbeer- oder Scampischäumen. Dazwischen wurden Schnäpse und in rascher Folge verschiedene Weine serviert. Das schmeckt zwar hervorragend, macht aber nicht sonderlich satt, sondern vorwiegend betrunken. Das ist hier auch der Sinn der Sache. Paul Renner gab zu Protokoll: "Ich will, dass die Leute sich betrinken und nicht nur kosten."

Der Zampano finanziert seine Gesamtkunstparty selbst. Das Ganze kostet unterm Strich satte 300.000 Euro. Das alles soll über Eintrittspreise (125 Euro) und den anschließenden Verkauf des Interieurs sowie des Tierschädels wieder hereingespielt werden. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Das Theatrum ist ein architektonisches Juwel, eine handwerkliche Meisterleistung und jeder Einrichtungsgegenstand ein Unikat. Die Teakholz-Stühle wurden eigens in Bali gefertigt (samt handgeschnitzten Rückenlehnen), detto das selbst entworfene Geschirr; die Gläser wurden in Murano in Auftrag gegeben.

Doch all das wäre nicht möglich gewesen ohne die Dutzenden von Freiwilligen, die Paul Renner zur Hand gingen. Paul Renner ist ein Künstler der Motivation, er kann die Leute für seine oft nur kurz skizzierten, etwas größenwahnsinnigen Visionen begeistern. Ein Mensch, für die Freundschaft begabt. Am Beginn des Abends steht er am Eingang und begrüßt jeden Gast persönlich mit Handschlag oder Bussi-Bussi und einem kleinen Scherzwort. Er plaudert hier, er schäkert da, aber er steht immer mit einem Weinglas (und einer Zigarette zwischen den Lippen) da.

Paul Renner hat sich stets unter Kontrolle und spricht eine klare Sprache, aber gesund ist so ein selbstverzehrendes Leben nicht. Er feiert den Moment, ein Fest der Vergänglichkeit und nimmt dafür die eigene Vergänglichkeit in Kauf. Ein lebendes Memento Mori, das sich selber inszeniert.

Jagdgesänge

Wie geht es weiter auf der Spur des Todes? Am Montag kocht Erwin Kasper aus Schoppernau, und das Kammerensemble Neue Musik aus Berlin führt eine Auftragskomposition von Alexander Moosbrugger auf. Der Dienstag steht unter dem Zeichen von Selbstmordriten und kulinarischem Dandyismus. Hier fällt auch dem Direktor der Wiener Kunsthalle, Gerald Matt, seine auf den Leib geschneiderte Rolle zu.

Am Donnerstag gibt's Sushi, Fritz Ostermayer und sizilianische Jagdgesänge. Am Freitag kocht der Meister dann selbst, die passende Show dazu liefert der Orgienmysteriker Hermann Nitsch. Da geht's um die " Anatomie von Speisen und Körper, ein ästhetisches Ritual der Existenzverherrlichung". Alles fast ausverkauft. (Michael Heinzel / DER STANDARD, Printausgabe, 9.7.2007)