Zur Person

Franz Fischler, promovierter Agronom, war Landwirtschaftsminister und EU-Agrarkommissar. Derzeit ist er Präsident des Ökosozialen Forums.

Foto: derStandard.at/Schersch
Keine Frage, Frau Bundeskanzler Angela Merkel ist es durch geschicktes Taktieren gelungen, die Kuh vom Eis zu holen – wie man in Deutschland sagt – und den politischen Stillstand in der Europäischen Union zu beenden. Es ist ihr auch gelungen, den allergrößten Teil der für ein besseres Funktionieren der EU in der Verfassung vorgesehenen Bestimmungen in den Reformvertrag hinüberzuretten. So weit, so gut.

Für gelernte Europäer ist aber das, was zwischen den Zeilen zu lesen ist, was auf dem „Beipackzettel“ steht, ebenso wichtig, weil man daraus den Geist ersehen kann, der hinter den spröden Vertragsartikeln steht. Hier wird betont, dass das Vertragswerk keinen Verfassungscharakter haben darf, dass der Außenminister anders genannt werden muss, dass einfache Begriffe wie „Gesetz“ oder „Rahmengesetz“ nicht verwendet werden dürfen und dass Symbole wie die europäische Hymne oder Flagge aus dem Vertrag zu streichen sind. Diese Liste ließe sich fortsetzen, bedeutet aber Folgendes:

Die Regierungschefs wollen keinesfalls mehr, bestenfalls gleich viel, am liebsten aber weniger politische Union. Der Idee, die seinerzeit vom deutschen Außenminister Joschka Fischer angestoßen wurde, die EU in Richtung „Vereinigte Staaten von Europa“ weiterzuentwickeln, wurde eine Absage erteilt. Stattdessen wurde die Gefahr des europäischen Superstaates, den bei Gott niemand will, an die Wand gestellt.

Wirtschaftsfördernd

Die Europäische Union soll in erster Linie eine Wirtschaftsgemeinschaft bleiben und nur insoweit Elemente einer politischen Union entwickeln, als es für die Prosperität der Wirtschaft förderlich ist. Haben die Regierungschefs dann zumindest Vorschläge gemacht, wie sie die wirtschaftliche Position Europas stärken wollen? Dazu ist leider im „Beipackzettel“ auch nichts zu finden. Haben aber die Franzosen und Niederländer nicht gerade deshalb „Nein“ zur Verfassung gesagt, weil sie konkrete europäische Projekte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Belebung der Wirtschaft, zur Hebung ihrer sozialen Lage, zur Beachtung der Nachhaltigkeit vermisst haben? All das wird wohl zurzeit vom „Brummen“ des Wirtschaftsmotors übertönt.

Langfristig wird der Reformvertrag zwar die Verwaltung des Status quo erleichtern, zugleich aber eine neue Kerneuropadebatte provozieren, um denjenigen, die eine weitere Vertiefung Europas anstreben, eine neue Perspektive zu geben. Genauso werden bohrende Fragen der Bürger über die Sicherung ihres Wohlstandes und den sozialen Zusammenhalt zurückkommen, sobald wir ins nächste Konjunkturtal blicken werden. Ganz zu schweigen von den drängenden Fragen zum Klimaschutz und der künftigen Rolle Europas in der Welt.

Michael Stürmer hat kürzlich in der Welt treffend geschrieben: „Es sind die Ereignisse, die die Politik zum Handeln zwingen, nicht die verqueren Formelkompromisse von 27 Regierungschefs.“ (Franz Fischler, DER STANDARD, Printausgabe 7./8.7.2007)