Während des ersten Tschetschenienkriegs Mitte der 90er-Jahre war es, als sich die Aufmerksamkeit auch auf die russischen Ölinteressen in der Separatistenprovinz richtete und der deutsche Kabarettist Dieter Hildebrandt auf der Bühne in gespielter Verzweiflung ausrief:„Wenn doch nur einmal S... in diesen Pipelines wäre!“

Der allgemeine Überdruss an den immer gleichen Profit- und Machtinteressen in Röhrenform hat seither nur zugenommen. Öl- und Gaspipelines sind zu Beginn dieses Jahrhunderts das Rüstzeug der internationalen Machtpolitik geworden. Die scheinbar endlose Vermehrung von Pipelinestrecken, die zum Teil über tausende von Kilometern laufen, wirft völlig neue Sicherheitsfragen auf. Sie hat auch einem neuen Dualismus Geltung verschafft: dem selbst zugesprochenen Recht auf Einmischung zur Sicherung von Energieinteressen und der Projektion staatlicher Macht auf die Nachbarn.

Im ersten zeigt sich die Kolonial- und Protektoratspolitik früherer Jahrhunderte, im zweiten aber eine Art Imperialismus der neuen Generation. „Irak vs. Gasprom“ lautet die Formel. So rechtfertigte nun Australiens Verteidigungsminister Brendan Nelson die Präsenz von Truppen seines Landes im Irak mit den Ölinteressen. Russlands Staatschef Wladimir Putin und die mehrheitlich staatliche Gasprom wiederum haben ihren Zugriff auf die EU-Staaten weiter ausgebaut.

Drei Projekte, die in den vergangenen Wochen unterzeichnet wurden oder deren Finanzplanung kurz vor dem Abschluss steht, zeigen die neue Realität der Pipelines als Politik machende Röhren. Strategisch bedeutend ist zum einen das Projekt einer 2600 Kilometer langen Gaspipeline vom Iran über Pakistan nach Indien. Noch im Juli wollen die drei Regierungen ein Abkommen über den Baubeginn unterzeichnen, von 2011 an sollen zunächst täglich 60 Millionen Kubikmeter Erdgas, später 150 Millionen durch die „Friedenspipeline“ transportiert werden.

Eine prinzipielle Verständigung über die Transitgebühren haben Indien und Pakistan bereits Ende Juni erreicht. Die geschätzt 700 Millionen Dollar jährlich könnten Pakistans Finanzkrise lösen und – bei geschickter Verwendung – beitragen, die Spannungen im Land durch Bildungs- und Jobmaßnahmen abzubauen. Das seit Jahren diskutierte IPI-Projekt ist ein Konkurrenzvorhaben zur Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Pipeline (TAP) mit einer Verlängerung nach Indien. Unocal, der lange vom jetzigen US-Vizepräsidenten Dick Cheney geführte Ölkonzern, hatte zunächst auf ein Abkommen mit den Taliban gesetzt und nach dem Sturz des radikalislamischen Regimes auf den früheren Unocal-Mann Hamid Karsai, den Washington als Präsidenten in Kabul installiert hatte.

Die Iran-Pakistan-Indien-Pipeline dagegen stößt sich an den Interessen der USA, die verhindern wollen, dass Teheran neue Absatzmärkte erschließt und Verbündete abhängig macht. Das Abkommen der USA_mit Indien über Hilfe bei der Entwicklung der zivilen Nukleartechnik ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Indiens Energiebedarf ist jedoch zu groß, als dass die Führung des Landes auf das Gas aus dem Iran verzichten wollte. Noch weiter östlich, auf der malaysischen Halbinsel, geht ein erheblich kleineres, aber nicht minder bedeutendes Pipelineprojekt in seine Endplanung: Knapp 300 Kilometer lang soll die Ölleitung sein, die von der Andamanensee (einem Teil des Indischen Ozeans) bis zum Südchinesischen Meer reicht.

Trans-Peninsula Petroleum, der private Betreiber, will von dem enormen Sicherheitsrisiko für den Schiffsverkehr in der Straße von Malakka profitieren. Öl aus Nahost soll ab 2011 in Malaysia zwischengelagert, durch drei Pipelines über die Halbinsel gepumpt und dann wieder per Schiff nach Japan, China und Südkorea befördert werden.

Den in machtpolitischer Sicht größten Coup landete Ende Juni allerdings die russische Gasprom. Ihre „South Stream“-Pipeline von Russland über Bulgarien nach Italien, vereinbart mit der italienischen ENI, macht die Politik der Energiesicherheit der EU zur Makulatur: Sicher ist allein, dass die EU in Zukunft denselben Anbieter von Erdgas hat. (DER STANDARD, Printausgabe, 7./8.7.2007)