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Fang den blauen Planeten und halt ihn fest: Al Gore hat Klimaschutz zum Massenentertainment gemacht.

Foto: AP /Kirsty Wigglesworth
Al Gores Triumph ist aber auch Zeichen dafür, dass Charitainment der Politik zunehmend den Rang abläuft.


Rockkonzerte für die gute Sache haben mittlerweile das, was Rock 'n' Roll eigentlich nie haben wollte: Tradition. Nach Bob Geldofs Live Aid und Live 8 nun also Live Earth. Da die Dramaturgie der Superlative nach ständiger Steigerung verlangt, ist Live Earth noch weltweiter, noch benefiziger und vor allem noch bedeutsamer als seine Vorgänger - es will nicht nur Afrika, es will die ganze Welt retten. Und es hat seinen Initiator in gewisser Hinsicht zu einem noch größeren Star gemacht. Agierten etwa Bob Geldof oder Bono in ihrem eigenen Metier, so ist jener der erste Politiker in dieser Reihe: Al Gore.

Erinnert sich eigentlich noch jemand an den gescheiterten Präsidentschaftskandidaten? Das war im Jahr 2000. Heute ist er "american as american can be": Er ist "wieder da". Der Mann wird gefeiert - ob in Hollywood, wo er einen Oscar für An Inconvenient Truth erhielt, oder nun weltweit als Klima-Rocker. Was aber wird da eigentlich genau gefeiert - der Mann oder sein Thema, der Klimaschutz? Erstaunlicherweise lautet die Antwort: beides. Zunächst wird der Mann bejubelt, seine Geschichte. Genauer gesagt: die Dramaturgie seiner Geschichte. Denn das Leben jenes Mannes, der sich heute so vorstellt: "Hi, I am Al Gore, I used to be the next president", hat die Dramaturgie eines Hollywoodmärchens.

Hart an sich gearbeitet

Ein solches beginnt mit einem ungelenken hässlichen Entlein, das in den Zwängen der Realpolitik steckt. Entscheidend für die Dramaturgie ist nun das Scheitern, das noch dazu so spektakulär war: der hauchdünne, stets angezweifelte Vorsprung des Gegenkandidaten ließ dieses stets als ungerecht erscheinen. Vorbedingung für die nächste Etappe war sein Akzeptieren der Niederlage. Statt die Rolle des Märtyrers zu übernehmen und seinen "gestohlenen Sieg" zu beklagen, hat Al Gore sich zurückgezogen und in schöner US-Manier "hart an sich gearbeitet".

Dort, in der "Abgeschiedenheit", die nicht so sehr eine räumliche, wie eine zeitliche war - eine Phase der Läuterung - fand er zurück zu seiner "Quelle", seinen ehemals unterdrückten Leidenschaften für den Klimaschutz. Damit sprengte er das Korsett der Realpolitik geradezu physisch. Schien er vorher vor allem von Zwängen bestimmt, so repräsentiert er in seinem nunmehrigen beachtlichen Körperumfang das Bekenntnis zu seiner wiedergefundenen Leidenschaft. Erst das Überwinden seines Scheiterns durch die Rückkehr zu seinen "wahren", inneren Kräften lässt ihn heute als strahlenden Helden erscheinen.

Um komplett zu sein, muss diese Geschichte noch um eine weitere Facette erweitert werden: den kontrapunktischen Gegenspieler. Heute ist es der ehemals flotte George W. Bush, der alt aussieht: Statt die Nation zu einen, hat er sie in das Irak-Desaster manövriert. Je mehr Bushs Stern sinkt, umso deutlicher erinnert Al Gore an das, was in den letzten sechs Jahren nicht hätte geschehen können. Er ist nicht Träger seiner Niederlage, sondern Symbol "für das, was hätte sein können", wie der New Yorker schrieb.

Paradoxerweise zeigt er gerade als solches, dass es eine reale politische Differenz gibt. Seine heutige öffentliche Person, entstanden aus seinem Nichtregieren, bestätigt, dass es eben doch einen Unterschied macht, wer regiert; dass es immer noch entscheidende Differenzen zwischen den großen Parteien gibt. Dieser Unterschied hat sich aber erst durch einen anderen Unterschied eröffnet: durch jenen zwischen elektoraler und außerparlamentarischer Politik. Al Gore ist natürlich keine NGO. Aber er agiert längst nicht mehr als Parteipolitiker, sondern in einer neuen Rolle: als moralische Autorität.

Mehr als Politik

Erst als solche gewann er an Kontur gegen Bush. Oder anders gesagt: Al Gores Triumph ist ein Indiz für die Krise der Politik. In dem Maße, in dem die politische Autorität durch Bush an Ansehen verlor, erwuchs überhaupt der Bedarf an moralischer Autorität. Die Frage, wo Al Gore mehr für den Klimaschutz erreichen kann, im Weißen Haus oder außerhalb, mag offen sein. Eindeutig aber ist, wo er mehr tun kann, um die ramponierte Rolle der öffentlichen Autorität zu restaurieren. Gore bekräftigt mit seinem Engagement für die Sache und nicht fürs Amt, dass es mehr gibt als Politik - nämlich Moral. Würde er sich heute nochmals als Kandidat bewerben, - und die diesbezüglichen Gerüchte verstummen nicht - hätte er damit paradoxerweise moralische "street-credibility". Denn er hat gezeigt, dass es noch Größeres gibt, als US-Präsident zu sein - Retter des Planeten. Dafür feierte ihn zunächst Hollywood und nun die Welt per Akklamation - und demnächst vielleicht sogar Stockholm. Sein gestohlener Sieg wird ihm quasi nachgereicht - in anderer Währung zwar, aber mit Zins- und Zinseszinsen.

Aber gefeiert werden - das sollte nicht übersehen wer-den - auch seine Inhalte, der Klimaschutz, den Al Gore zum Massenentertainment gemacht hat. Das "Live-Earth-Concert" ist nur der Höhepunkt einer Reihe von Aktivitäten, die mit umjubelten Vorträgen und dem preisgekrönten Film begonnen haben. Klar, das Thema bedarf des Spektakels, das ist eine Binsenweisheit. Weniger klar ist vielleicht, dass auch das Spektakel eines Themas bedarf: Es braucht einen Inhalt, um die Leute zu bewegen, zu emotionalisieren, zu binden.

Moralisches Spektakel

Politik als Armageddon, als Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse - wie Bush sie inszenieren wollte - ist dafür nicht so geeignet wie Moral mit ihrer Reihe von Schuld, Bewusstwerdung/ Läuterung und Wiedergutmachung. Der Klimaschutz ist hierfür besonders passend, bietet er doch den Vorteil, jeden Einzelnen auf dreifache Weise anzurufen: als tätiges Subjekt, denn "es gibt Dinge, die jeder tun kann", als von der drohenden selbst verschuldeten Apokalypse moralisch bewegtes Individuum und als Publikum, das das Spektakel konsumiert. Ein Spektakel mit moralischem Mehrwert, bei dem Politik in ein Woodstock-Gefühl eingeschrieben wird: Es bietet die Weltverbesserung gleichzeitig als unmittelbaren Vollzug eines Coming-together und als Versprechen für die Zukunft.

Solche Politik der Prominenz ist also eine doppelte Bewegung, in der Popkultur sich mit Inhalten auflädt und Politik sich als Spektakel inszeniert. Ihre Schnittmenge ist die Darstellung des Guten jenseits der Politik. Zunehmend erhält solches Charitainment, das Zusammenfallen von ernsten Themen und Unterhaltung, größere Autorität als die Realpolitik. Das mag eine gute Nachricht für den Klimaschutz sein - für die Politik ist sie es nicht. (DER STANDARD, Printausgabe, 07./08.07.2007)