Zur Person
Ingrid Kromer (47) ist seit 1993 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für Jugendforschung und arbeitete an der Jugendwerte-Studie mit

Foto: STANDARD/Fischer
"Männer schlüpfen verstärkt in alte Rollen" Nicht die Jugendlichen, sondern die Erwachsenen müssen sich solidarischer verhalten, um die Chancen junger Menschen zu verbessern, fordert die Pädagogin Ingrid Kromer. Mit ihr sprach Andrea Heigl.

STANDARD: Wenn man über Jugendliche spricht, wird gerne mit Klischees gespielt. Also: Sind alle jungen Menschen orientierungslose Komasäufer?

Kromer: Absolut nicht. Abgesehen davon haben sich die Jugendlichen das ja von den Erwachsenen abgeschaut. Jugend ist immer ein Spiegel der Gesellschaft, manchmal verschwommen und abgemildert, manchmal klar und verstärkend, aber man kann gesellschaftliche Trends ablesen. Es ist einfach, auf die Jugendlichen zu zeigen und zu sagen wie schädlich Alkohol ist, gleichzeitig aber als Erwachsener lustig weiterzutrinken. Alkohol ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.

STANDARD: Was ist also das vorrangige Problemfeld im Leben junger Menschen?

Kromer: Leistungsorientierung und die Pluralität von verschiedenen Optionen führen zu Unsicherheit. Jugendliche haben unterschiedliche Kompetenzen, damit umzugehen, und wählen risikoreiche Wege oder eben Sicherheitspfade. Alte Wertvorstellungen geben besonders viel Sicherheit. Vor allem im Bereich der Geschlechterdemokratie zeigen sich interessante Ergebnisse: Hier schlüpfen verstärkt Männer in alte Rollen, und Frauenemanzipation stagniert.

STANDARD: Vor allem was Jobs betrifft, gibt es immer weniger Sicherheit.

Kromer: Ja, darum steigt der sichere Arbeitsplatz in der Werte-Hierarchie. Das konnten wir bei der ersten Jugend-Wertestudie 1990 noch nicht in dieser Deutlichkeit ablesen, weil es damals wesentlich leichter war, einen Arbeitsplatz zu bekommen.

STANDARD: Gerade in diesem Bereich gibt es viele Zwischenformen - Stichwort Generation Praktikum.

Kromer: Für Jugendliche gibt es am Arbeitsmarkt absolut unfaire Bedingungen: Wenig Geld, keine Versicherung und Absicherung, und kein Job auf Dauer. Es scheint, als würde die Erwachsenengesellschaft kaum Verantwortung für die Zukunft junger Menschen übernehmen. Hier sind viele ungerechte Strukturen erkennbar, die die Zukunftschancen von Jugendlichen vermindern.

STANDARD: Welche Rolle spielt Politik im Leben junger Menschen?

Kromer: Politik ist der Bereich, wo sich junge Menschen immer mehr zurückziehen. Sie finden politische Teilhabe und Mitsprache zwar wahnsinnig wichtig, sehen aber keine Chance, in das etablierte, verkrustete System einzugreifen. Im Jahr 2000, als es eine Protestkultur gegen die schwarz-blaue Koalition gab, war das Politikinteresse höher. Der Protest blieb wirkungslos, es entstand ein Gefühl der Machtlosigkeit. Aus den Daten ist ersichtlich, dass seither das politische Interesse wieder sinkt.

STANDARD: Plädieren Sie also dafür, dass sich nicht die Jugend, sondern die Gesellschaft verändern soll?

Kromer: Ja, absolut. Jugend ist eine gesellschaftliche Minderheit und ihre Interessen, Bedürfnisse und Rechte werden schon allein durch die demografische Entwicklung marginalisiert. Eine Veränderung der Erwachsenengesellschaft in Richtung Chancengleichheit tut Not. Solidaritätspotenzial sehen wir bei der Jugend sehr stark ausgeprägt, aber wo ist es bei den Erwachsenen? (Andrea Heigl, DER STANDARD Printausgabe, 7./8.7.2007)