Von all den Vorschlägen, die Alfred Gusenbauer in seiner Zeit als Oppositionspolitiker gemacht hat, war es wohl der menschlich einfühlsamste und ökonomisch am weitesten in die Zukunft weisende: Jedes Kind, das in Österreich die Schulpflicht erreicht, soll zu diesem Zeitpunkt bereits die Unterrichtssprache Deutsch so weit beherrschen, dass es dem Unterricht auch folgen kann. Das ist nicht nur eine Voraussetzung für eine sinnvolle Integration der Kinder mit Migrationshintergrund in unseren österreichischen Schulalltag - es ist auch die beste Basis dafür, dass die Schulkinder von heute in ein, zwei Jahrzehnten beruflich erfolgreich sein können.

Lernen müssen sie sowieso selber. Aber die Grundlage dafür soll schon gelegt werden, bevor sie in die Volksschule kommen.

Kinder benachteiligt

Die Koalition führt uns allerdings vor, wie man aus einem solchen guten Vorschlag einen Streitfall macht - und am Ende womöglich jene Kinder benachteiligt, deren Sprachkenntnisse durchaus zufrieden stellend wären. Aus der Sorge, die eine oder andere Familie könne sich diskriminiert fühlen, wenn man ihr fünfjähriges Kind in die Vorschule schickt, um erst einmal die deutsche Sprache zu lernen, wurde die Idee einer Vorschulpflicht für alle geboren - technisch wäre das eine Ausweitung der Schulpflicht auf eine monothematische Schule für Fünfjährige, deren einziges Unterrichtsfach Deutsch wäre.

Das wäre nützlich für die, die tatsächlich mit der deutschen Sprache Schwierigkeiten haben. Und ziemlich fad für die Mehrheit der Kinder, die daheim gutes Deutsch gelernt hat. Wobei sich zeigen würde, dass die Sprachkenntnisse keineswegs entlang der Linien von geografischer Abstammung verteilt sind, sondern viel mehr mit dem sozialen Hintergrund zu tun haben.

Kindergartenpädagogen wissen, dass ein paar Stunden im Kindergarten (oder in der Vorschule) nicht ersetzen können, was Eltern daheim versäumen. Ein Kind, mit dem die Eltern daheim nicht kommunizieren, wird auch in einer Vorschule nur schwer die sprachliche Entwicklung nachholen können. Dabei ist es nicht gar so wichtig, ob mit einem Kleinkind daheim in türkischer, serbischer oder deutscher Sprache geredet wird - wichtig ist, dass mit dem Kind überhaupt geredet wird, dass ihm daheim Geschichten vorgelesen werden und der Fernsehapparat nicht die einzige Quelle des Spracherwerbs ist.

Bemühen um das Kind

Es geht um den respektvollen Umgang mit dem Kind - und um den Willen der Eltern, es zu fördern. In alten, immer noch gültigen bürgerlichen Werten ausgedrückt: "Das Kind soll es einmal besser haben." Und dafür muss man sich um das Kind bemühen. Viele Eltern tun das - jedenfalls so gut sie können. Sie bringen schon kleine Kinder in mathematische Früherziehung, in Musikkurse, in Ballettschulen. Sie lesen ihnen stundenlang vor und diskutieren mit ihnen Tag für Tag.

Es sind diese heilen Familien, die die ÖVP im Auge hat, wenn sie fragt, was derartig geförderte Kinder in einem Sprachkurs tun sollen, in dem andere erst einmal die Grundlagen der Kommunikation lernen müssen. Bremst man diese Kinder nicht in ihrer Entwicklung, wenn man sie in Sprachkurse zwingt, in denen sie nichts lernen können? Ist das nicht unzulässige Gleichmacherei?

Andererseits macht der Streit um die Vorschulpflicht auch deutlich, dass es eben Kinder gibt, die mit Startvorteilen ins Schulleben einsteigen. Der Wunsch der Eltern, solche Startvorteile aufrechtzuerhalten, ist verständlich. Das muss das Bildungssystem gewährleisten. Und gleichzeitig jenen Nachhilfe geben, die diese Startvorteile nicht hatten, damit sie wenigstens die Chance haben, einen Anschluss zu finden. (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 9.7.2007)