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Nicolas Sarkozy will mit viel Aktionismus der EU einen "pragmatischen Kapitalismus" verpassen. Erstmals besuchte am Montag ein EU-Regierungs-chef ein Finanzministertreffen.

Foto:Reuters/Loos
Vor allem mit dringend nötigen Strukturreformen in der französischen Wirtschaft begründete Präsident Nicolas Sarkozy die Verschiebung der Haushaltssanierung. Statt wie im April vereinbart 2010 soll erst 2012 ein Nulldefizit erreicht werden und je nach Wirtschaftslage auch das Defizit möglicherweise noch einmal über die erlaubte Grenze von drei Prozent hinausgehen.

Frankreich provoziere damit nicht eine neue Ideologiedebatte zwischen angelsächsischem Liberalismus und französischem Colbertismus (Merkantilismus), sagte die französische Finanzministerin Christine Lagarde. Vielmehr gehe es darum, einen "pragmatischen Kapitalismus" zu schaffen.

Der französische Agrarminister, der frühere EU-Kommissar Michel Barnier, bat um Verständnis. "Wir werden mit etwas mehr Zeit unsere Zusagen zu Neuverschuldung und Verschuldung einhalten. Und wir werden dieses Land reformieren", sagte Barnier im französischen Fernsehen. Sarkozy werde nicht einfach um mehr Zeit bitten, um dann zu Hause untätig zu sein.

Im Vorfeld des EU-Finanzministertreffens sprachen hohe Diplomaten in Brüssel von der Gefahr eines "Dammbruchs": Sarkozy könnte recht rasch Verbündete finden, die auch an der Haushaltssanierung arbeiteten und diese derzeit innenpolitisch nicht durchsetzen könnten.

Dem Vernehmen nach gibt es bereits Stimmen aus Italien und Griechenland, die Ideen von Sarkozy nicht voreilig zu verwerfen. Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück hatte Sarkozy in der vergangenen Woche zum weiteren Sparen ermahnt. Steinbrück will die deutsche Neuverschuldung unter allen Umständen bis 2010 auf Null drücken.

Die EU-Kommission und die portugiesische EU-Präsidentschaft warnten Sarkozy vor einem Ausscheren aus den Sparbeschlüssen. Österreichs Finanzminister Wilhelm Molterer sagte, er könne Frankreichs Pläne nicht unterstützen. Auch Frankreich habe sich zum Zieldatum 2010 für die Haushaltssanierung bekannt. Daran müssten alle festhalten. Es bleibe aber bei dem Grundsatz, dass die Haushalte jetzt saniert werden müssten.

Eine "rote Linie" überschreitet Sarkozy auch mit seinem Ruf nach mehr Einfluss auf den Euro-Kurs. Der französische Präsident macht den "starken Euro" für die flauen Exporte in Frankreich verantwortlich und hat dafür die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main kritisiert, die mit Jean-Claude Trichet ein Franzose leitet. Wirtschaftsexperten mahnen dagegen bei Sarkozy Reformen ein, um die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft anzukurbeln.

Frankreich zuerst

Hinter den Kulissen in Brüssel wird vor allem das hohe französische Leistungsbilanzdefizit für den Vorstoß Sarkozys verantwortlich gemacht. Sarkozy wolle mit einem niedrigeren Euro Wettbewerbsvorteile gewinnen und die Exporte ankurbeln.

Bisher war Sarkozy gesamteuropäischen Argumenten nicht aufgeschlossen. "Sein Blick und der der französischen Delegation ist derzeit starr auf Frankreich gerichtet," sagte ein EU-Botschafter im Gespräch mit dem Standard.

Die Linie Sarkozys dürfte ankommen: Eine Mehrheit der Franzosen begrüßt den starken politischen "Aktivismus" von Sarkozy. 52 Prozent sind der Ansicht, dass Sarkozy "weder zu viel noch zu wenig" auf der politischen Szene auftritt. Für zehn Prozent ist er sogar "zu wenig aktiv", während 32 Prozent ihm eine "Hyperaktivität" vorwerfen, berichtete die APA nach einer Umfrage von Le Parisien. Die Mehrheit der Franzosen will Sarkozy "sehr oft" in Brüssel sehen. (Michael Moravec aus Brüssel, DER STANDARD Printausgabe 10.07.2007)