Hedwig Blenk findet seit 1961 Ruhe in ihrem beschaulichen Kleingarten mitten im Gemeindebau.

Foto: Robert Newald

In den 20er-Jahren wurden die Innenhöfe als Selbstversorgergärten genutzt.

Foto: Robert Newald
Mit der Aktion "Urlaub im Gemeindebau" will die ansässige Gebietsbetreuung auf die unentdeckten Seiten des Gemeindebaus aufmerksam machen

* * *

„Das ist mein Paradies“, sagt Hedwig Blenk, lächelt zufrieden und sieht sich in ihrem von Rosenstöcken und leuchtenden Hortensien begrenzten Gärtchen um. „Hier hab ich noch eine Ruh’“, fügt die 75-Jährige hinzu. Seit 1961 wohnt Frau Blenk in dem weitläufigen Gemeindebau auf der Schmelz im 15. Bezirk – und ist gemeinsam mit ihrer Schildkröte stolze Nutzerin eines von rund 280 Mietergärten, die sich auf 32.000 m2 innerhalb von vier Wohnblöcken erstrecken. Tatsächlich ist bis auf Vogelgezwitscher und den Wind in den knorrigen Bäumen kein Ton zu hören. Nur da und dort werken ein paar Mieter hinter Thujenböschungen oder mit Schlingpflanzen überwucherten Maschenzäunen, sitzen unter Marillen-, Zwetschken- und Kirschbäumen, zwischen Gartenzwergen und Schaukeln.

Vom feinen englischen Rasen mit Steinterrasse bis zu brusthoch mit wilden Blumen zugewachsenen Kleingärten reicht die Palette an parzelliertem Grün. „Es gibt freie Gestaltungsmöglichkeit“, erklärt „Gartenobmann“ Karl Peter Knopfloch vom Mieterverein. Gewisse Auflagen ausgenommen: In jedem Garten müssen zwei Obstbäume stehen, fixe Hütten oder Swimmingpools sind nicht erlaubt. Beim Spazieren durch die Oase mitten im Gemeindebau gibt Knopfloch immer wieder gärtnerische Ratschläge – die nicht immer angenommen werden. Als „rau, aber herzlich“ beschreibt Knopfloch seine recht persönliche Beziehung zu den Mietern.

Selbstverwaltung

Die Gartenanlage wie auch die Verwaltung durch einen Mieterverein haben ihren Ursprung in der Wohnungs- und Hungersnot, die bei der Errichtung der „Siedlungsanlage Schmelz“ in den Jahren 1919 bis 1924 herrschte. Die zwischen 70 und 140 m2 großen Gärten dienten der Selbstversorgung mit Obst und Gemüse, bis in die 1960er-Jahre wurden auf der Schmelz noch Kleintiere gehalten.

Auf Eigeninitiative setzte man in dem Vorzeigeprojekt des „Roten Wien“ auch bei der Verwaltung: Auf einen Hausbesorger wird bis heute verzichtet, jeder Mieter muss für eine Woche die Reinigung übernehmen. Probleme gibt es dabei so gut wie keine, versichert Knopfloch, nur die Neuzuzügler, vielfach Migrantenfamilien, wären sich oft nicht ihrer Verantwortung bewusst. Auch als Gartennutzer sind die Zuwanderer nicht so gern gesehen, ansonsten funktioniere das Zusammenleben aber „tadellos“.

Eng kann es schon werden in den 800 Wohnungen, in denen mehr als 2000 Menschen leben: Ganze zehn Wohnungen haben knappe 80 m2 Fläche, der Rest 40 bis 50, nach dem Prinzip „Zimmer-Kuchl-Kabinett“. Wobei die zuerst errichteten einstöckigen Blöcke rund um die Gärten noch mit Holzstiegen und -decken auskommen müssen, wie Josef Gebhard, der Obmann des Mietervereins erläutert. Erst durch den Ankauf von Ziegelwerken durch die Gemeinde Wien konnte Architekt Hugo Mayer in der zweiten Bauphase großzügigere Gebäude mit bis zu vier Stöcken, Loggien und Erkern verwirklichen. „Es ist alles ein Mischmasch, keine Stiege und kein Stock schauen gleich aus.“

Reiseziel Gemeindebau

Den Gemeindebau mit anderen Augen und nicht nur als Hort für Konflikte zu sehen ist Ziel der Aktion „Urlaub im Gemeindebau“, in deren Rahmen die ansässige Gebietsbetreuung auch die Führung durch die einstige Arbeitersiedlung auf der Schmelz organisiert hat. Neben Exkursionen, die einer breiteren Öffentlichkeit die unentdeckten Seiten der Wohnanlagen näherbringen sollen, veranstaltet die Gebietsbetreuung auch „Urlaubsfeste“ für die Bewohner, mit Liegestühlen, Boccia und Schach. „Wir wollen Farbe in den Gemeindebau bringen und die Leute zusammenbringen“, betont Martin Mikulik von der Gebietsbetreuung.

Viel zu entdecken gibt es auf der Schmelz allemal: So wie den „Planschbadhof“, wo Wiens erstes Kinderfreibad stand. Oder die denkmalgeschützte Atlaszeder, die seit Jahrzehnten für Ärger sorgt, da ihre ausladenden Äste so manchem Hobbygärtner die Sonne raubt. Oder Josef Mesenich, der in seinem beschaulichen Gärtchen eine zahme Meise auf der Schulter trägt. „Ein Paradies“, meint auch er. (Karin Krichmayr/DER STANDARD-Printausgabe, 10.7.2007)