Der Verfassungsgerichtshof lässt jetzt das Asylgesetz prüfen. Die Abschiebungen traumatisierter Flüchtlinge könnten menschenrechtswidrig sein. Innenminister Platter will abwarten - Irene Brickner

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Wien – Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) am Mittwoch dem von Innenminister Günther Platter (ÖVP) hoch gehaltenen Fremden- und Asylgesetz einen Rüffel erteilt.

Zuletzt hatten die Höchstrichter festgestellt, dass auch bei vorbestraften Ausländern vor einer Abschiebung die Achtung des Familienlebens mit erwogen werden muss (der Standard berichtete). Jetzt nahmen sie den Fall eines schwer traumatisierten Tschetschenen zum Anlass, um Teile der Abschiebepraxis infrage zu stellen.

Überprüfung des umstrittenen Regelwerks

Und zwar grundlegend, in Form eines Gesetzesprüfungsverfahrens – der ersten derart tief greifenden Überprüfung des umstrittenen Regelwerks. Doch Platter beeindruckt das nicht: "Die Prüfung muss erst abgewartet werden." Auch die Evaluierung des Fremdenpakets sei dadurch keineswegs dringlicher geworden: "Es bleibt wie gehabt bei 2009."

Besagter Tschetschene litt, wie eine Vielzahl von Flüchtlingen aus dem dortigen Krieg, an einer schweren Persönlichkeitsstörung infolge seiner Extremerlebnisse. Als er nach Polen ausgewiesen werden sollte, gewährten ihm die Asylbehörden einen Durchführungsaufschub: Er durfte in Österreich bleiben, aber nur bis zu einem bestimmten, festgesetzten Tag.

Dieser Tag rückte immer _näher, doch dem 60-Jährigen ging es immer noch nicht besser. Also beschlossen die heimischen Behörden, von sich aus ins Asylverfahren einzutreten, es also gleich in Österreich abzuwickeln. Es stellte sich heraus, dass laut Paragraf 10/3 des geltenden Asylgesetzes die Ausweisung weiter in Kraft blieb.

Damoklesschwert

"In einem solchen Fall besteht keine Möglichkeit, die Ausweisung rückgängig zu machen", verdeutlicht VfGH-Sprecher Christian Neuwirth. Wie ein Damoklesschwert schwebe die Ausweisungsgefahr weiter über dem psychisch schwer angeschlagenen Mann. Mit dem Grundrecht auf Schutz vor unmenschlicher Behandlung laut Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention sei dies womöglich unvereinbar.

Für Michael Genner von "Asyl in Not", der vor allem Tschetschenen berät, ist die VfGH-Gesetzesprüfung ein "positiver Schritt". Er verlangt jedoch einen "sofortigen Abschiebestopp" für Traumatisierte: In dutzenden ähnlichen Fällen werde den Betroffenen schon der Durchführungsaufschub verwehrt.

Nicht grundrechtswidrig

Als nicht grundrechtswidrig schätzte der VfGH indes den wohl umstrittensten Passus des Fremdenpolizeigesetzes ein: Paragraf 76/2 , laut dem Asylwerber in Schubhaft gesperrt werden können, wenn laut Prognose ein andere Staat für sie zuständig ist. Der Paragraf war dem Verfassungsgerichtshof im März 2007 vom Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung angetragen worden. "Die Ablehnung kommt nicht überraschend", meint die Rechtsanwältin und Obfrau von "SOS-Mitmensch", Nadja Lorenz. Die Begründung jedoch sei "rein formal. Wenn ich mir vergegenwärtige, dass jeder VfGH-Entscheid politisch ist, geht mir der Bezug zur harten Schubhaftpraxis ab." (Irene Brickner/DER STANDARD Prinmtausgabe 12.7.2007)