Nickelsdorf/Wien – "Flüchtling aus Amerika, gegenwärtig wohnhaft in Österreich" liest man auf der Homepage von Marco Eneidi. Nein, das Gerücht, dass die Wiederwahl von George W. Bush anno 2004 den Altsaxofonisten aus Oakland, Kalifornien, gleichsam ins politische Exil nach Europa getrieben hätte, stimme nicht, obwohl das ein "guter Grund" gewesen wäre, so der 51-Jährige. "Ich habe einfach eine Pause benötigt. Ich war es müde, nach so vielen Jahren noch immer von der Hand in den Mund zu leben, ständig Angst zu haben, die Miete nicht bezahlen zu können und die Wohnung zu verlieren. Für mich war es immer ein Kampf."
Marco Eneidi, der in den 80ern in New York als Sideman Cecil Taylors und Bill Dixons bekannt wurde, während er in den 90ern – zurück in Kalifornien – als Partner des 1998 verstorbenen Glenn Spearman aufzeigte, reflektiert damit die zunehmend marginalisierte Situation der Free-Jazz-Tradition in den USA. In den 80er-Jahren konnte man mit dieser Musik in Kalifornien noch 200 bis 300 Dollar pro Auftritt verdienen, so Eneidi: "Heute bekommst du 20 Dollar, wenn du Glück hast."
Nachdem Eneidi nach einem Konzert in Nickelsdorf 2004 seinen Rückflug versäumt hatte und sah, "dass hier die Mieten ein Fünftel der kalifornischen betragen, dass es eine leistbare Krankenversicherung gibt und dass ich vom Spielen bescheiden leben kann", beschloss er, sich in Österreich niederzulassen.
Kontakte knüpfte er im Rahmen der von ihm seit September 2005 im Celeste in Wien-Margareten geleiteten, frei zugänglichen Montag-Sessions. US-Kollegen wie Ken Vandermark waren dort schon zu Gast, regelmäßig erscheinen zudem manche Freigeister aus der Techno-Noiserock-Szene, voran Keyboarder Philipp Quehenberger und Fuckhead-Schlagzeuger Didi Kern.
Eneidi: "Für einen wie mich, der aus dem afroamerikanischen Avantgarde-Jazz kommt, bedeutet die Zusammenarbeit mit Philipp und Didi eine neue Welt. Wir haben viele Vernissagen bestritten, u. a. von Franz West, der oft im Celeste als Zuhörer zu Gast ist."
Es erscheint schlüssig, dass die Free Sessions, die der norwegische Schlagzeuger Paal Nilssen-Love in ihrer wöchentlichen Konstanz als "weltweit einzigartig" bezeichnet, nun auf jenes Event zurückwirken, dem Eneidi seine neue Heimat verdankt: Im Rahmen der Nickelsdorfer "Konfrontationen" werden heuer – neben Prominenz aus Europa und den USA – zwei Formationen vertreten sein, die aus den informellen Meetings erwachsen sind. Zum einen das "Von Oslo nach Beirut"-Ensemble (u. a. mit den Libanesen Mazen Kerbaj und Sharif Shenaoui), zum anderen das Full Moon Barkestra eines gewissen Ronnie Rocket, in den 80er-Jahren als Ronnie Urini berühmt und berüchtigt.
Warum Marco Eneidi frei improvisierte Musik spielt? "Für mich war es nie eine bewusste Entscheidung, etwas in einer bestimmten Weise zu tun. Es ist, was ich in mir höre, und auch das, was ich fähig bin zu tun. Ich spiele, was mir natürlich erscheint." (Andreas Felber / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.7.2007)