Geschlechterpolitik
Der Kampf gegen die Aids-Epidemie
Kommentar von Jeffrey Sachs
Nach zehn Jahren verpasster Gelegenheiten schreckt die Welt endlich auf. Aids, eine Virusinfektion, die das körpereigene Abwehrsystem ausschaltet, wütet vor allem in den ärmsten Ländern Afrikas und Südasiens. 19 Millionen Menschen sind der Krankheit zum Opfer gefallen, 13 Millionen Kinder wurden zu Waisen. Weitere 34 Millionen sind HIV-positiv und zu einem frühen Tod verdammt.
In den 1980er-Jahren in den USA entdeckt, breitet sich Aids vor allem in armen Ländern aus: In Afrika sind 25 Millionen Menschen an Aids erkrankt, 6 Millionen in Asien. In Schwarzafrika sind in manchen Regionen 20 Prozent der Erwachsenen infiziert.
Arme Länder sind aus den verschiedensten Gründen von der Seuche stärker betroffen als reiche Länder. Armut ist der Grund für mangelnde Information und fehlende Bereitschaft, Kondome zu verwenden. Armut macht die medizinische Behandlung unerschwinglich, arme Menschen verleugnen ihre Krankheit, da ein Test ohne anschließende Behandlung sinnlos ist. Armut veranlasst verheiratete Männer als Wanderarbeiter, weit weg von der Familie, ihr Geld zu verdienen, was häufig zu Sex mit mehreren PartnerInnen führt. Armut macht Frauen wehrlos gegen ungewollten Sex mit Männern, die möglicherweise infiziert sind.
Auch die Ansteckung läuft nach einem schnelleren Rhythmus ab. Der Retrovirus (HTLV-III oder HIV) verbreitet sich in Afrika südlich der Sahara möglicherweise deshalb schneller, weil andere vor allem durch Geschlechtsverkehr übertragbare Krankheiten die Ansteckung durch den Aids-Erreger begünstigen. Die genetischen Merkmale des HIV unterscheiden sich von denen des in Amerika und Europa identifizierten Virus. Einige WissenschafterInnen sehen in dieser Tatsache den Grund für erhöhte Ansteckungsgefahr in Afrika.
Weltbank hilft nicht
Aids entwickelte sich zur größten Seuche der modernen Menschheitsgeschichte. Da die Länder, in denen sie epidemische Ausmaße annimmt, arm sind, wendet sich die Welt achselzuckend ab. Die Weltbank stellte zur Bekämpfung der Krankheit in Afrika lediglich einige Millionen Dollar statt der notwendigen Milliarden zur Verfügung. Stellen wir uns vor, China hätte im 14. Jahrhundert ein Heilmittel gegen die Beulenpest entwickelt, um dann tatenlos zuzusehen, wie der Schwarze Tod Europa dezimiert.
Es ist höchste Zeit, diese weltweite Epidemie auszurotten, und zwar im Rahmen eines Milliarden-Hilfsprogramms, das von den reichen Ländern finanziert wird. Noch gibt es keinen konkreten Plan, aber es zeichnen sich bereits Konturen ab. Die drei Eckpfeiler des Programms sind: Vorbeugung, Behandlung, Forschung und Verbesserung der therapeutischen Behandlung. Vorbeugung ist Sache jedes Landes. PolitikerInnen und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sind verpflichtet, Aufklärungsarbeit zu leisten und mitzuhelfen, die Menschen über die Krankheit zu informieren und wie sie sich dagegen selbst schützen können. So wurde zum Beispiel in Thailand unter Prostituierten eine erfolgreiche Aufklärungskampagne über die Verwendung von Kondomen durchgeführt. Diese Form der Prävention ist auch in Afrika notwendig
Hilfe der Reichen
Die reichen Länder müssen außerdem Hilfsfonds für die dringend notwendige medizinische Behandlung HIV-Positiver und Aidskranker einrichten: zur Verhinderung der Mutter-Kind-Ansteckung; zur Bekämpfung von Tuberkulose, die mit Aids auftritt; und bei geschickter Planung für die Kombinationstherapie. Mithilfe von speziell entwickelten Medikamenten, die mit geringstem Kostenaufwand hergestellt werden, ist es möglich, die ARV-Therapie (Antiretrovirus) auch für die ärmsten Länder erschwinglich zu machen.
Der dritte Schritt umfasst Forschungsprogramme zur wirkungsvolleren Eindämmung der Krankheit. Das langfristige Ziel ist die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Aids. Jüngste bahnbrechende Erfolge in der Basisforschung geben Grund zur Hoffnung, dass innerhalb von zehn Jahren ein Serum entwickelt wird - vorausgesetzt, öffentliche und private Mittel werden für Forschung und Hilfsfonds zur Verfügung gestellt.
Eine Hand voll Dollar
Der Kampf gegen Aids in seinem ganzen Umfang wird jährlich fünf Milliarden US-Dollar kosten: rund vier Milliarden Dollar für die Drei-Phasen-Strategie Prävention/Behandlung/ Forschung, eine Milliarde für Forschungsarbeiten bezüglich des Retrovirus, der in Afrika auftritt (zusätzlich zur allgemeinen HIV-Forschung). In den reichen Ländern leben ungefähr eine Milliarde Menschen, das macht jährlich fünf Dollar pro Kopf aus.
Wenn so viel auf dem Spiel steht und der Einsatz so bescheiden ist, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass die Welt untätig zusieht. Auf dem G-8-Gipfel vor einigen Wochen in Japan verpflichteten sich die Staatschefs der reichsten Länder, aktiv zu werden. Sie beschlossen ein weiteres Treffen am Ende des Jahres in Japan, um die Finanzierung zu konkretisieren. Zum Wohle der Menschheit ist es unsere Pflicht, alles zu tun, um dieses Versprechen einzulösen und Millionen Menschen in den ärmsten Ländern der Welt das Leben zu retten.
Jeffrey D. Sachs
ist Galen-L.-Stone-Professor für Wirtschaftswissenschaft und Direktor des Center for International Development, Harvard University, Cambridge, Ma., USA.
© Project Syndicate,
Prag 2000
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TANDARD
, Print-Ausgabe, 14./15.8. 2000)