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Aus der Hanfpflanze lässt sich die Substanz Dronabinol gewinnen. Sie wirkt gegen Schmerz.

Foto: Getty Images/Miles Willis
Cannabis erlebt in der Medizin eine Renaissance. Die Hanfpflanze bewährt sich vor allem bei chronischen Schmerzen. Ärzte und Patienten bilden nun gemeinsam eine Lobby, um für Patienten Cannabinoide verfügbar zu machen und Straffreiheit zu gewährleisten - Von Jutta Berger

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Cannabis hat als Heilmittel eine lange Geschichte: Die Traditionelle Chinesische Medizin kennt die Wirkung der Pflanze seit Jahrtausenden. Im Alpenraum durfte der Hanf über Jahrhunderte nicht in der Kräuterapotheke fehlen. Napoleons Soldaten entdeckten die schmerzlindernde Wirkung auf dem Ägyptenfeldzug. Im beginnenden 20. Jahrhundert beschäftigte sich nicht nur die Boheme mit Hanf, sondern auch die Medizin. Schon damals wusste man um die positive Wirkung bei Schmerz, Muskelkrämpfen, Depression, Asthma. Es gelang aber noch nicht, die Wirkstoffe des Hanf zu isolieren. Dem Forscherdrang wurde mit restriktiven Gesetzen - wie dem Einfuhrverbot für Hanf 1925 und der Aufnahme auf die Liste der "Narcotic Drugs"-, ein Ende gesetzt.

Renaissance von Cannabis

Die Renaissance von Cannabis als Medizin begann 1964, als israelischen Forschern die chemische Synthese von Dronabinol, des psychotrop wirksamsten von rund 70 pflanzlichen Cannabinoiden, gelang. Bis zur Zulassung als Arznei in den USA dauerte es 20 Jahre. Heute darf in den USA im Gegensatz zu Europa, wo der Wirkstoff aus Nutzhanf gewonnen wird, Dronabinol nur synthetisch hergestellt werden.

Schmerz- und Palliativmedizin

In Österreich wird Dronabinol vor allem in der Schmerz- und Palliativmedizin eingesetzt. Hans-Georg Kress hat als Leiter der Abteilung Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie der Med-Uni Wien Erfahrung mit Cannabinoiden. Hanf bewähre sich bei neuropathischen Schmerzen, solchen Schmerzen, die im Nervensystem selbst durch Funktionsstörungen oder Verletzungen entstehen. Kress: "Hier brauchen wir Alternativen, wenn die gängigen Analgetika keine Wirkung zeigen. Cannabinoide wie Dronabinol scheinen eine Alternative zu sein, weil sie an bestimmten Rezeptoren im Nervensystem, an den Cannabinoid-1-Rezeptoren, andocken und dadurch die Mechanismen, die für neuropathischen Schmerz verantwortlich sind, günstig beeinflussen können."

Angewendet werden Cannabinoide in der Schmerzmedizin vor allem nach Schlaganfällen, Querschnittsverletzungen oder bei Multipler Sklerose. Verabreicht werden sie als Kapseln oder Tropfen.

Kein Rausch

Bei dieser Applikation entstehe weder Sucht noch Abhängigkeit, sagt der Schmerzexperte: "Was die psychische Abhängigkeit ausmacht, sind Rauscherlebnisse. Die kann man in dieser Form nicht erleben." Nebenwirkungen, wie verändertes Körper- oder Zeitgefühl, Halluzinationen, sind bei zu hoher Dosis aber möglich. Hans-Georg Kress: "Wie bei jedem Arzneimittel muss vorsichtig dosiert werden." Verordnet werde, wenn andere Schmerzmittel nicht wirken. Für Kress liegt die Zukunft der Cannabinoide ausschließlich in der Verordnung von Reinsubstanzen und nicht von Pflanzenbestandteilen.

Lobbys für den medizinischen Einsatz

Durch die Kooperation von Ärzten und Patienten entstehen Lobbys für den medizinischen Einsatz von Cannabis. In Österreich bemüht sich die CAM (Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin) seit zehn Jahren um die Rehabilitation von Hanf.

Das Ziel: Die Verschreibung von Cannabisprodukten über Rezept und der straffreie Anbau von Hanf für Patienten mit Eigenbedarf. Noch ist der Anbau verboten, wird nur in Ausnahmefällen und nach langen gerichtlichen Auseinandersetzungen - wie im Falle eines oberösterreichischen Aids-Kranken - erlaubt. Die Verschreibung von Dronabinol ist nur über ein Suchtmittelrezept möglich. Bei etwa der Hälfte der Rezepte übernehmen die Kassen die Kosten, die anderen müssen das Medikament selbst bezahlen. Hanf als getrocknetes Kraut (Tee) oder Paste darf nicht über den Apotheken-Tresen. Zudem ist Dronabinol noch nicht lizensiert, darf nicht als Fertigmedikament in den Handel, was das Medikament teuer macht.

Umbruchsstimmung

Dennoch ist CAM-Obmann Kurt Blaas, praktischer Arzt und Drogentherapeut in Wien, guter Dinge: "Die Situation schaut nicht so schlecht aus. Wir sind in einer Umbruchsstimmung." So starke Unterstützung durch die Kassen wie in Österreich sei in Europa einmalig, freut sich der Arzt. Unterstützung signalisieren auch Rechtswissenschafter und sogar die Politik, sagt Blaas: "Politiker aller Parteien haben uns zugesichert, dass Cannabis als Medizin einen Versuch wert wäre." (Jutta Berger/DER STANDARD Printausgabe 16.7.2007)