Den 1947 in Teheran geborenen, auf Deutsch schreibenden SAID, der seit 1965 in München lebt und den 1930 auf der Karibikinsel St. Lucia geborenen Walcott, der 1992 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, verbindet vieles, mehr als es den ersten oberflächlichen Anschein hat. Beide sind nicht nur sehr belesene Autoren, sie sind sich auch ihrer grenzgängerischen, randständigen Beobachterposition als Außenseiter äußerst bewusst. Der eine, SAID, ein Flüchtling, der sich an einen neuen Kulturkreis akklimatisieren musste. Der andere, Walcott, mit Zwillingsbruder von der Mutter allein aufgezogen – Walcotts Vater starb ein Jahr nach seiner Geburt –, der bürgerlichen Mittelschicht entstammend, wuchs auf St. Lucia, einem Inselstaat, wo vor allem Patois, eine französische Kreolsprache, verbreitet ist, mit Englisch als Muttersprache auf, hat Europäer und Afrikaner in seinem Stammbaum und gehört zur winzigen methodistischen Kirchengemeinde auf dem zu 90 Prozent römisch-katholischen Karibikinsel. Später studierte er auf Jamaika, lehrte als Poesiedozent an nordamerikanischen Eliteuniversitäten und zählte den Exilrussen Joseph Brodsky sowie den nord-irischen, heute in Dublin lebenden Lyriker Seamus Heaney zu seinen Freunden.
Wie kann ein solch renommierter, weltweit geschätzter Autor aber für sich den Status eines "verlorenen Sohns" reklamieren? Deutlich wird dies in den Meditationen, die Reisen nach Europa und nach Südamerika auslösen, in den Reflexionen übers Alter, über dieses sein "letztes Buch", über die Sprache, verlorene Lieben, tote Freunde und den verstorbenen Zwillingsbruder. Vor allem kreist sein Poem um den Komplex von Heimat, Verlust und Sprache, also um St. Lucia, wo Walcott seit 1999 wieder lebt, und die Mobilisierung eines bildungsgesättigten, die Geschichte der Dichtung wie seines eigenen Lebens hochreflexiv wiedergebenden Idioms in Zeiten einer strikt gegenwartsfixierten Globalisierung. Noch einmal legt Walcott ein großes Langgedicht vor, das vor innerer Spannung und berückendem Bilderreichtum geradezu vibriert. Am Schluss sind sie dann wieder bei ihm, dem angekommenen, lange Zeit verlorenen Sohn, die beiden Vertreter der Elemente, Engel und Delphine. "Die letzten zuerst. / Und stets verläßlich auf dem hellen Rand / der Welt ringsum, der niemals näherkriecht, / obwohl, verlorener Sohn, der Bugkeil auf ihn wies, / am andern Ufer jener Streifen Licht."
Daniel Göske trifft in seiner Übersetzung, bei der man merkt, wie unaufgeregt das Englische gegenüber der substantivreichen deutschen Sprache ist, Walcotts Tonfall ausgesprochen gut, auch wenn dabei das Metrum, der fünfhebige Jambus, verloren geht. Göske hat überdies informative Erläuterungen sowie ein kluges Nachwort beigesteuert, was den Band zu einer sorgfältigen Edition werden lässt.
Und SAID? Und die Psalmen? "Die Psalmen waren", so die Literaturwissenschafter Inka Bach und Helmut Galle, "Lied, Dichtung und Gebet zugleich. Die Art des kultischen Psalmengesanges der alten Hebräer kann heute kaum noch rekonstruiert werden, dennoch müssen wir uns diesen Zusammenhang mit der Musik und dem Gottesdienst vergegenwärtigen, wenn wir die Psalmentexte lesen." Psalmen waren schon immer für Autoren interessant, die sich an Übertragungen wagten, wie Martin Buber 1958 oder der Schriftsteller und promovierte Theologe Arnold Stadler 41 Jahre später.