Spannende Organisation von freien Improvisationen - Barry Guy in Nickelsdorf.

Foto: Faltermeier
Nickelsdorf - Es soll auch schon bei anderen österreichischen Festivals für improvisierte Musik mitunter vorkommen, dass die zur Spielwiese erklärten Programm-Nebenschienen spannendere Klänge bieten als das kalkulierbarere Treiben auf der Hauptbühne. Stichwort eins: Saalfeldner "Short Cuts". Stichwort zwei: die auf den Kleylehof, sechs Kilometer außerhalb von Nickelsdorf, ausgelagerten Nachmittagskonzerte der "Konfrontationen".

27 Jahre nach der ersten Auflage des längst zum internationalen Fixpunkt mutierten Events passiert am Kleylehof tendenziell jene Musik, die noch am ehesten aus dem Festivalrahmen fällt und so dessen ursprünglichen Gedanken perpetuiert. Der Zeitlupen-Pop des Trios Pendler war dort anno 2007 zu hören, ebenso die Ensemble-Loops von Cellist Noid.

Und ein Trommler namens Ronnie Rocket, in den 80er-Jahren bekannt als Pop-Exzentriker Ronnie Urini, entfachte, unterstützt u. a. von Philipp Quehenberger (Keyboards) und Didi Kern (Schlagzeug), eine psychedelisch-rockige Noise-Woge, deren Brachialität Saxofonist Marco Eneidi und Trompeter Thomas Berghammer phasenweise verschluckte. Dazwischen deklamierte Urini-Rocket eine epische Ballade über die Reise eines Außerirdischen zum Planeten Io. Schräg. Amüsant.

Letzteres galt auch für den 30-köpfigen "Feral Choir", den Englands Vokalisten-Ikone Phil Minton aus Festivalmusikern - und Besuchern versammelt hatte. Einige wenige Anweisungen genügten, und schon durchwanderten die Laien-Kehlen in einander überlappenden Polyphonien verschiedene Stadien des Minton'schon Sounduniversums, plappernd, zischend, lachend, glissandierend. Das roch phasenweise nach kollektiver Therapiestunde und hatte doch auch für Nicht-Teilnehmer verblüffende Momente zu bieten.

Auf der "Hauptbühne", im Gastgarten von Hans Falbs "Jazzgalerie", regierte indessen der frei improvisierte Mainstream. Dichte Spontanmusik auf phasenweise hohem Niveau, aber ohne wirklich individuelle Akzente bot das Quartett um Saxofonist Edoardo Maraffa und Schlagzeuger Fabrizio Spera.

Barry Guy überzeugte einmal mehr als orchestraler Strukturalist freier Musik: Die Interpretation von "Oort Entropy" durch sein u. a. mit Evan Parker, Mats Gustafsson, Herb Robertson besetztes "New Orchestra" gefiel in der von Kollektiv-Passagen, Ensemble-Auskopplungen und Soli geprägten Dramaturgie, auch wenn gegenüber den Großtaten des "London Jazz Composers' Orchestra" keine Neuheiten hörbar wurden.

Eine Erstbegegnung bedeutete einerseits die junge Berliner Pianistin Magda Mayas, die aus dem präparierten Flügelinneren allerlei Soundmaterial hobelte, dieses allerdings zu selten aussagekräftige Gestalt annehmen ließ, um mit Schlagzeuger Tony Buck in konzentrierte interaktive Gefilde vorzudringen. Und - andrerseits - das Duo Mazen Kerbaj/Sharif Shenaoui, das Trompete und Gitarre als Teil von Hautzingers "Oriental Space" in strenger Abstraktion, nach Manier der britischen Free-Schule bearbeitetet.

Nur ansatzweise konnte Helge Hinteregger in diesem Rahmen zeigen, welche vielversprechenden Möglichkeiten in seinem Kehlkopfmikrophon, dessen Input in Echtzeit weiterverarbeitet wird, steckt. Immerhin bot die Zugabe, als die Quartettanten zu unerhörtem, gestalthaftem Sound verschmolzen, einen magischen Moment. Derer hätten die "Konfrontationen" anno 2007 durchaus einige mehr vertragen. (Andreas Felber, DER STANDARD/Printausgabe, 17.07.2007)