Wien – Gertrude Brinek macht mutig die Vorhut und spricht sich als erste ÖVP-Politikerin für eine Amnestie in Sachen Kindergeld-Rückforderungen aus._Im Standard-Gespräch fordert die Frauenvorsitzende des ÖAAB, des ÖVP-Arbeitnehmerflügels, eine „großzügige“ Handhabung der aus ihrer Sicht ohnehin unseligen und sowieso abschaffungspflichtigen Zuverdienstgrenze.
Schwarze Vorreiterin
Gefragt, wie sie anstelle ihrer Parteikollegin Familienministerin Andrea Kdolsky – selbst langjähriges ÖAAB-Mitglied – jetzt handeln würde, sagt Brinek: „Ich hätte mich eher der Amnestie zugewendet. Mit dem Geld werde ich als Ministerin eh nicht reich, und im Übrigen zeigt das Chaos jetzt das ganze Dilemma der Zuverdienstgrenze. Ich würde schleunigst gegen diese Grenze kämpfen, selbst wenn ich mit dem Finanzminister um mehr Geld ringen müssten, weil dann ja mehr Leute Kindergeld beziehen würden. Aber das Problem könnte man mit einem Stufenplan in Griff kriegen“, plädiert die ÖVP-Politikerin für familienfreundlichen Pragmatismus.
Noch ein Punkt irritiert Brinek. Derzeit wird ja nur das Bezugsjahr 2002 stichprobenartig geprüft und bei Überschreiten der Zuverdienstgrenze (14.600 Euro pro Jahr) um mehr als 15 Prozent droht dann als Sanktion die Rückzahlung. „Ich frage mich, warum nur das Jahr 2002?“
Wann ist hart hart?
Auch die angekündigte milde statt wilde Geld-zurück-Aktion durch Kdolsky ist Brinek nicht ganz geheuer: „Was heißt Härtefall? Da muss ja auch wieder gewichtet werden. Das alles ist eine Bestätigung dafür, dass wir aufhören sollen mit dieser Zuverdienstgrenze. Die war von Anfang an paradox, wenn man doch immer von mehr Freiheit durch das Kindergeld geredet hat.“
Eine Amnestie hält Brinek insofern für argumentierbar, „als es auch vergleichbare Fälle gibt, wo ,Übergenuss’ oder Übertretung hinsichtlich einer Bezugsgrenze nur bedingt rückforderbar ist.“ Etwa gewisse Zulagen, die vorenthalten wurden und rückwirkend nur begrenzt nachgefordert werden können. Brinek: „Da könnte man auch beim Kindergeld großzügig sein.“
Allerdings steht Brinek mit ihrer Amnestie-Forderung bis jetzt in der ÖVP damit allein auf weiter Flur – dafür aber in bunter Gesellschaft: Nach Grünen-Vizechefin Eva Glawischnig und am Montag SPÖ-Nationalratspräsidentin Barbara Prammer positionierte sich auch Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) am Dienstag vorsichtig als Amnestie-Befürworter. Ja, er könne sich eine solche Amnestie prinzipiell vorstellen, sagte der SPÖ-Chef. Im Herbst werde ohnehin die Novelle des Kindergeldgesetzes beschlossen.
Kanzler Salomon
Als salomonischen Zwischenschritt schlug Gusenbauer quasi eine sanktionsfreie Gnadenfrist vor. Man solle die Novelle abwarten und bis Herbst keine Rückforderungen erlassen, zumal die alten Rückforderungen, die teilweise auch „die widersprüchlichen Signale der alten Regierung“ widerspiegelten, „im Licht der Gesetzgebung im Herbst“ geprüft werden. Dann solle man eine „soziale Kulanzlösung finden“. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen kritisierte diesen Interims-Stillstand als unzumutbare Prolongierung „der Rechtsunsicherheit für die Eltern“.
Die ÖVP minus Brinek ist nach wie vor gegen eine Amnestie in jeder Form, weil eine solche die „braven“ Grenzeinhalter vorführen würde. „Ehrliche Eltern, die sich an die geltende Gesetzeslage gehalten haben, dürfen nicht für dumm verkauft werden“, sagte ÖVP-Familiensprecherin Ridi Steibl.
Die umstrittene Zuverdienstgrenze bleibt, betonte Familienministerin Andrea Kdolsky auch am Dienstag in der ZIB2 erneut und hält nichts von einer Amnestie. Derzeit liege die Grenze bei 14.600 Euro pro Jahr, im aktuellen Gesetzesentwurf wurde sie auf 16.200 Euro angehoben. Und da gebe es noch Diskussionsspielraum, sagt Kdolsky.
Dem Ö1-Morgenjournal sagte sie am Mittwoch, dass die Zuverdienstgrenze sei "im Interesse des Kindes" sei. Ihr Ziel sei es auch, "dem Kind die Möglichkeit zu geben, auch mit seinen Eltern Zeit zu verbringen".