Genf/Paris/Preßburg/Sofia - International kommentieren Tageszeitungen die Umwandlung der Todesurteile gegen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen Arzt in lebenslängliche Haftstrafen in Libyen in ihren Ausgaben am Donnerstag. Im folgenden Wortlautauszüge:

"Neue Zürcher Zeitung"

"Bei aller Freude über die Rettung von Menschenleben hinterlassen der Fall der sechs Spitalangestellten und die Art seiner 'Lösung' einen bitteren, ja widerlichen Nachgeschmack. (...) Das Regime hat die Frage der Entschädigung von vornherein mit dem Schicksal von sechs willkürlich hinter Gitter gesetzten Personen verknüpft und deren Freilassung von ausländischer - westlicher - Zahlungsbereitschaft abhängig gemacht. Was das Regime nach innen als privaten 'Deal' nach Maßgabe des vormodernen beduinischen Stammesrechts darstellt (...) ist im Kern ein von Tripolis von A bis Z gesteuertes erpresserisches Manöver."

"Tages-Anzeiger" (Zürich)

"Mit der Begnadigung der bulgarischen Krankenschwestern und des palästinensischen Arztes hat (...) Gaddafi das letzte Hindernis aus dem Weg geräumt, um mit dem Westen wieder normale politische und wirtschaftliche Beziehungen pflegen zu können. Er braucht den Westen, um die gewaltige Entwicklungslücke zu schließen. Libyen ist traditionell ein Land von Beduinen und Händlern, eine industrielle Tradition gibt es nicht. Der Oberst hofft vor allem darauf, dass die amerikanischen Firmen jetzt zurückkehren, die die libysche Ölindustrie einst aufgebaut haben."

"La Croix" (Paris)

"Diese Menschen wurden acht Jahre eingesperrt, gefoltert und drei Mal für ein Verbrechen zum Tode verurteilt, das sie nicht begangen haben. Mit einem erschreckenden Zynismus ist das libysche Regime seiner Verantwortung (für die HIV-Infektionen hunderter Kinder, die Experten zufolge fälschlicherweise den Krankenschwestern und dem Arzt zur Last gelegt wurden; Anm.) entflohen und hat Menschen die Schuld zugeschoben, deren einziger Fehler ihr ausländischer Pass war. (...) Wie soll man sich zu so einem früher terroristischen Regime verhalten? Man kann verstehen, dass alles getan wird, um Unschuldige zu retten. (...) Man kann auch verstehen, dass im Kampf gegen den Terrorismus alles getan wird, damit Libyen auf 'der guten Seite' bleibt. Aber dass die westlichen Staaten morgen dieser Diktatur wieder Waffen liefern (Frankreich könnte Tripolis Rafale-Kampfflugzeuge liefern), kann nur tiefe Bitterkeit auslösen."

"Hospodarske Noviny" (Preßburg)

"Der Führer der kleinen libyschen Nation, Muammar Gaddafi, hat geschickt die ganze Welt um den Finger gewickelt. Die Familien der infizierten Kinder bekommen Geld und zugleich bleiben die unschuldigen bulgarischen Krankenschwestern weiterhin in seiner Hand, damit er mit ihnen weiter sein unehrliches Spiel treiben kann, das womöglich noch mit der Freilassung eines Lockerbie-Terroristen enden wird. (...) Der libyschen Diplomatie geht es offensichtlich überhaupt nicht um die Kinder und ihre Familien - die werden nur für ein diplomatisches Spiel missbraucht."

"Sega" (Sofia)

"Hat uns der libysche Führer Muammar el Gaddafi vielleicht nicht besiegt? Er zwang die Regeln des Spiels auf und brachte es zum von ihm gewünschten Abschluss. Er behielt sich sogar das Recht vor, es auch künftig zu verzögern, so lange er nur möchte. Keine juristischen Argumente und keine international anerkannten Menschenrechte spielten dabei eine Rolle. Bulgarien nahm die Erniedrigung an, dass seine Staatsbürger wie Geiseln behandelt wurden (...). Gaddafi hatte aber nicht die Absicht, sie hinzurichten, da er von toten Geiseln keinen Nutzen hat." (APA/dpa)