Weniger Amerika, mehr Europa – das wird beiderseits des Atlantiks von der Außenpolitik des neuen britischen Premiers erwartet. Die Entwicklung des Verhältnisses von Gordon Brown zu George Bush wird (falls sich das diplomatische Geplänkel zwischen Moskau und London nicht zur Dauerkrise auswächst) die nächsten Monate im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Blairs Abgang war eine Folge seiner Unterwerfung unter die desaströse Irakpolitik der USA. Niemand in seiner Partei glaubte noch, dass Blair wieder aus dem Popularitätstief herauskommen könnte. Labour setzte auf Brown, der zwar Blairs Modernisierung der Partei mitgetragen hat, aber der Basis noch immer als „Roter“ mit sozialistischen Werten gilt. So gesehen steckte schon im Wechsel zu Brown ein Stück Distanzierung Londons von Washington. Und seither werden eifrig Indizien gesammelt, die auf eine geänderte Haltung der Briten hindeuten.

Hinwendung zu Europa

Der Besuch des Premiers bei Andrea Merkel in Berlin zu Beginn dieser Woche (und noch vor einer offiziellen Visite Browns bei Bush) war so ein Anzeichen für eine stärkere Hinwendung zu Europa. Schon vorher hatten zwei Mitglieder seiner Regierung gegenüber den USA neue Töne angeschlagen. Entwicklungshilfeminister Douglas Alexander machte sich in Washington für Multilateralismus und „soft power“ (Verhandlungen und diplomatischer Druck statt Militäraktionen) stark. Lord Malloch Brown, stellvertretender Außenminister, stieß mit der Bemerkung nach, Amerikaner und Briten seien nicht „zusammengewachsen“. Konservative Zeitungen wie der Daily Telegraph brachten alarmierte Aussagen von US- Republikanern.

Abzug

Falls Brown die britischen Soldaten im Irak (derzeit noch 5000) abziehe, würde das Bush schwer treffen, während die Kriegsgegner in den USA aufjubeln würden. Brown ließ die Aussagen seiner Mitarbeiter jedoch als „Unsinn“ abtun. Außenminister David Miliband versicherte, dass es in der Entschlossenheit der Briten, mit den USA zusammenzuarbeiten, keine Änderung gebe. Dann legte Brown noch mit Formulierung nach, die Beziehungen zu den USA würden „in den nächsten Jahren noch stärker“ werden. Seriöse Kommentatoren geben zu, dass sie Browns Weltbild noch nicht ganz durchschaut haben. Als Finanzminister agierte er zwar durchaus unternehmerfreundlich, nutzte die wegen der florierenden Wirtschaft sprudelnden Steuereinnahmen aber, um die Staatsinvestitionen in Gesundheit und Bildung zu steigern.

Urlaub in den USA

Seinen Urlaub wird Brown heuer, wie schon in früheren Jahren, in den USA verbringen, in Cape Cod in Massachusetts, wo er Tennis spielen und viele Bücher verschlingen wird (heuer sind Werke vom ergrünten Al Gore und von Ex-Zentralbanker Alan Greenspan, einem persönlichen Freund Browns, dabei).

Das intensive Bücherlesen (nicht der Sport) verbindet Brown mit dem legendären Kriegspremier Winston Churchill (der für seine Memoiren den Literaturnobelpreis bekam). Churchill war es auch, der die seither in England als unverzichtbar geltende „special relation-ship“ mit dem USA formte.

Sahen die Briten in den USA Ende des 18.Jahrhunderts die abtrünnige Kolonie und im 19. einen Konkurrenten um Einfluss in Asien und Lateinamerika, so wurden die Vereinigten Staaten für sie im 20. zum wichtigsten Verbündeten und zweifachen Lebensretter. In den 1914 ausgebrochenen Ersten Weltkrieg kamen die USA den Engländern und ihren Verbündeten erst 1917 zu Hilfe, nachdem deutsche U-Boote britische Schiffe mit Nachschub aus Amerika versenkt hatten. Im Zweiten Weltkrieg drängte Churchill US-Präsident Franklin D. Roosevelt (gegen die unwillige US-Öffentlichkeit) zum Kriegseintritt in Europa, zu dem es aber erst nach dem Angriff der mit Hitler Verbündeten Japaner auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor 1941 kam.

Seither ist die „special re-lationship“ zu den USA Teil des Credos aller britischen Premiers, auch jener der Labour Party. Rhetorisch werde sie wohl auch Brown weiter hochhalten, heißt es dazu in der Londoner Times. Bei ihm sei aber, anders als bei Blair, „nicht das Herz dabei". (Erhard Stackl, DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.7.2007)