Befürworter Misik: "Symbolpolitik zählt."

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Kritiker Broder: "Günter Wallraff spinnt."

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Eine Fülle weiterer Reaktionen auf diese von Günter Wallraff (Bild) aufgeworfene Frage finden Sie beispielsweise aufSpiegel Online (www.spiegel.de).

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PRO

Als Ali war er ganz unten. Weil er jetzt vor den Alis und Mustafas lesen will, ist er ganz oben in den Schlagzeilen. Seit Günter Wallraff angekündigt hat, in einer Kölner Moschee aus Salman Rushdies "Satanischen Versen" lesen zu wollen, ist das deutsche Feuilleton gespalten. Die FAZ nennt die Lesung "einen Lackmustest" und die Welt bekundet "Respekt", weil sich der Linke Wallraff damit gegen "den Mainstream" seiner Weggefährten stelle. In der SZ wiederum rümpft Gustav Seibt die Nase über die "nutzlose Symbolpolitik" und die "moralische Ersatzhandlung". Und Wallraff selbst? Der hofft, so sagt er, auf eine befreiende Wirkung, die von der Lesestunde ausgehen wird.

Natürlich hat die Aktion den leisen Hautgout der Muslimprovokation, nach dem Motto: "Wir denken uns etwas aus, von dem wir annehmen, es bringt euch zur Weißglut - und dann sehen wir mal, wie ihr darauf reagiert." Und man kann sich fragen, was eine literarische Weihestunde zur Entspannung kultureller Konflikte beitragen soll.

Dennoch kann die Kritik, es handele sich hier nur um nutzlose Symbolpolitik, nicht überzeugen. Sicher ist Symbolpolitik nicht alles. Aber ohne Symbolpolitik ist alles nichts. Schließlich war Rushdies "ketzerisches" Buch, das vor fast zwei Jahrzehnten die Fundamentalisten dieser Welt aufbrachte und seinem Autor ein Leben unter dem Schutz der Sicherheitsapparate einbrachte, auch nur ein Symbol. Es führte zum ersten "symbolischen" Zerwürfnis zwischen dem radikalen Islam und dem Westen. Auch die Fatwa des Ajatollah Chomeini war, in gewissem Sinn, "nur" Symbolpolitik. Aber eine mit mächtigen Folgen. Wenn sich heute ein deutscher Moscheeverein dazu durchringen könnte, eine Lesung aus diesem Buch zuzulassen, wäre dies deshalb ein ebenso symbolischer Akt: zuhören und debattieren statt drohen und wüten.

Man kann das Buch als frommer Muslim dann immer noch als "islamfeindlich" kritisieren. Aber die Geste würde zählen. Rushdie, der große Ironiker und Wanderer zwischen den Welten, hat mit seinem Buch einen passablen Stein des Anstoßes geliefert. Pragmatisch gesehen wären die Vertreter des Kölner Moscheevereins deshalb äußerst schlecht beraten, die Wallraff-Lesung nicht zuzulassen. Selbst wenn man annimmt, dies alles wäre nur eine geschickte Falle, von notorischen Islamophoben ausgelegt: Radau zu schlagen wäre genau das, was sich diese Islamophoben am meisten wünschten.

Also: Rushdies Verse in die Moschee. Es wäre ein schönes Symbol.

(Robert Misik, DER STANDARD/Printausgabe, 21./22.07.2007)

KONTRA

Wallraff spinnt. Sein Vorschlag, Rushdies Satanische Verse in der neuen Kölner Mega-Moschee zu lesen, ist die Art von Unsinn, der "gut gemeint" mit "gut gedacht" verwechselt. Die meisten Muslime hätten das Buch gar nicht gelesen, sagt Wallraff, und diesem Defizit will er nun abhelfen.

Wenn die Unkenntnis eines Werkes die Ursache für die Empörung ist, die es auslöst, dann wird Wallraff demnächst viel zu tun haben. Er wird ganz Arabien bereisen, um den Menschen die Mohammed-Karikaturen zu zeigen, über die sie sich so empörten, ohne sie gesehen zu haben; und wenn er mit diesem Job fertig ist, wird er durch den amerikanischen Bible-Belt touren, um die "Kreationisten" mit den Arbeiten von Darwin vertraut zu machen. Danach wird er sich auf den Weg nach Indien machen, um den Hindus beizubringen, wie man einen Tafelspitz macht. Dermaßen gestählt, kann er dann gläubigen Juden den Unterschied zwischen "Kasseler" und "Eisbein" erklären.

So wie zur Religiongsfreiheit die Freiheit gehört, keine Religion zu praktizieren, gehört zur Meinungs- und Informationsfreiheit die Freiheit, keine Meinung zu haben und sich nicht informieren zu wollen. Jeder muss die Möglichkeit haben, ein Buch lesen zu können, keiner kann dazu gezwungen werden, es zu lesen oder es sich vorlesen zu lassen. Wenn Muslime eine Moschee nicht für eine Rushdie-Lesung bereit stellen wollen, dann ist das ihr gutes Recht. Sie haben nur kein Recht, mich daran zu hindern, eine Rushdie-Lesung zu besuchen oder irgendeinen Autor zu bedrohen, wenn er etwas schreibt, das sie nicht lesen mögen. So wie Juden unkoscheres Essen verweigern dürfen und Katholiken keinen Atheisten als Sonntagsprediger beschäftigen müssen.

(Henryk M. Broder, DER STANDARD/Printausgabe, 21./22.07.2007)