Wer wissen will, wie es um die Zukunft von Rot-Schwarz in einem Jahr bestellt sein könnte, der muss nach Deutschland schauen: "Merkel ist als Spitzenpolitikerin zur Zeit ziemlich konkurrenzlos", schreibt Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung zur Halbzeit der großen Koalition in Berlin. Nicht nur, weil sie als EU- und G8-Vorsitzende ein paar Monate lang Weltpolitik machen konnte. Dies sei "keine Bejubelung der durchaus mit Defiziten behafteten Kanzlerin, sondern eine Beschreibung der Lage", fügt er gleich hinzu.

Denn nur weil sich kein anderer Spitzenpolitiker der SPD bisher etabliert hat, den man ähnlich ernst nehmen könnte, bekommt Merkel so viel Rampenlicht ab. Grund: Die deutschen Sozialdemokraten werden seit dem Verlust des Kanzleramtes im Herbst 2005 nicht müde, sich quer zu legen, öffentlich zu zelebrieren, wie ungern sie in dieser Regierung mitarbeiten, dass bald Schluss sein müsse mit Schwarz-Rot.

Die CDU-Chefin Merkel aber bleibt stets ruhig, kühl, ganz überparteiliche Regierungschefin, sitzt jeden Streit aus, zeigt dennoch auf ihre äußerlich bescheidene Art, wie sehr ihr das Regieren Freude macht. Das mögen die Wähler: Ausgleich. Merkels Werte werden jetzt immer besser, die SPD kränkelt. Sie ist die "Konsenskanzlerin", hält die Frankfurter Allgemeine fest, auch wenn inhaltlich in Berlin bei Weitem nicht so viel weitergeht wie nötig wäre.

Natürlich kann man Österreich nicht eins zu eins mit Deutschland vergleichen. Aber nach einem halben Jahr Rot-Schwarz in Wien gibt es viele Ähnlichkeiten, nicht nur, weil Kanzler Alfred Gusenbauers Aufstieg zur Macht auffallende Parallelen zu Angela Merkel aufweist: Beide sind keine wirklichen Charismatiker, wurden krass unterschätzt, mehrfach für politisch tot erklärt, Helmut Kohls "Mädchen" zwischenzeitlich von den CDU-Parteigranden gar zum Abschuss freigegeben. Beide haben die entscheidende Parlamentswahl nicht gewonnen, sich aber stets als "Mordssteher" erwiesen, die Kanzlerschaft hart erkämpft. Inzwischen sind die innerparteilichen Kritiker stumm: ob sie Franz Voves in der Steiermark, Erich Haider in Oberösterreich heißen oder Roland Koch in Hessen - von Edmund Stoiber nicht zu reden.

Viel wichtiger ist aber die Auseinandersetzung mit den politischen Gegenspielern. Merkel hat zwar eher bescheidene inhaltliche Erfolge vorzuweisen, verfügt nicht über große politische Konzepte oder Visionen, musste wegen der SPD Wahlversprechen reihenweise brechen. Sie profitiert aber vor allem davon, dass sie es mit einer schwachen Opposition und einem kleineren Regierungspartner zu tun hat, der kein Konzept zur Gegenprofilierung findet. Wenn die Macht erst einmal konsolidiert ist, lässt sich der Wählererfolg leichter erreichen.

Das kann Gusenbauer sich von Merkel ebenso abschauen wie von seinem Vorgänger Franz Vranitzky. Es funktioniert umso besser, wenn die wirtschaftliche Lage so hervorragend ist wie derzeit. In Österreich trifft das die Freiheitlichen ebenso hart wie die Grünen, bei denen mit Eva Glawischnig und Terezija Stoisits durch Aufrücken in höchste Staatsämter zwei der stärksten Mitstreiterinnen "neutralisiert" wurden.

Am meisten alarmiert aber müsste ÖVP-Chef Wilhelm Molterer sein. Die ÖVP macht den Eindruck, als hätte sie noch immer keine neue Linie gefunden. Molterer erscheint wie der Testamentsvollstrecker einer schwarz-blau-orangen Periode (die aber nicht er, sondern sein Vorgänger Wolfgang Schüssel geprägt hat), nicht als entschlossener Winner, der einen eigenständigen Kurs einschlägt und sein Nummer-zwei-Sein abgeworfen hat, vergangenheitsselig statt zukunftsorientiert: bei Kindergeld, Vorschule, berufstätigen Müttern, bei der (nötigen) Zuwanderung - bei den meisten brennenden Problemen steht die ÖVP als Verhinderer da, nicht als Offensivkraft.

Derweil kann Gusenbauer sein Kanzlerdasein verfeinern, ohne große Leistungen, aber immer unbestrittenerer "pater familiae", mit dem Willen, die Koalition nach 2010 weitere fünf Jahre zu führen. (Thomas Mayer/DER STANDARD, Printausgabe, 23.7.2007)