Foto: E. H. MedUni Innsbruck
Allergien und Asthma haben sich zu Volkskrankheiten entwickelt. In Österreich leiden laut Allergiebericht rund 20 Prozent der Menschen an Allergien. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, Menschen in hoch qualifizierten Berufen stärker als in wenig qualifizierten, Stadtbewohner sind anfälliger als Menschen aus Kleingemeinden. In den letzten 20 Jahren stieg die Zahl der an Heuschnupfen Leidenden um mehr als das Doppelte, die Zahl der Asthmatiker erhöhte sich in diesem Zeitraum sogar um das 3,5-fache. Der Höhepunkt bei allergischen Erkrankungen liegt im Kindes- und Jugendalter.

Bauernkinder weniger anfällig

Bauernkinder allerdings sind weniger anfällig für Asthma und allergische Erkrankungen. Diese Beobachtung machte Josef Riedler, Leiter der Kinderabteilung am Kardinal Schwarzenberg'schen Krankenhaus in Schwarzach/Pongau, schon 1998. Im Rahmen einer internationalen Asthma-Studie fiel ihm auf, "dass Kinder, die sich schon in den ersten beiden Lebensjahren im Stall aufhalten, weniger Allergien haben".

Gesunde Wiese

Zeitgleich fanden Schweizer Forscher heraus, dass Menschen, die viel auf der grünen Wiese sind und damit direkte Pollenkontakte haben, zu einem geringeren Ausmaß an Pollenallergien erkranken; auch deutsche Wissenschafter stellten einen positiven Einfluss des Landlebens auf den Immunhaushalt fest.

Schutzfaktoren erforscht

Die Forschungsgruppen schlossen sich zu einer Kooperation zusammen, die inzwischen auf sechs Gruppen aus fünf Nationen angewachsen ist. Josef Riedler ist einer ihrer Leiter. Erforscht werden nicht die Risikofaktoren, sondern die Schutzfaktoren. Der Körper soll Hilfe zur Selbsthilfe bekommen.

Anthroposophische Lebensweise stärkt

Die Studiengruppen Alex (Allergy and Endotoxin) und Parsifal (Prevention of allergy risk factors for sensitisation in children related to farming and anthroposophic lifestyle) wiesen nach, dass die Bauernhofumgebung, aber auch eine konsequent anthroposophische Lebensweise das Immunsystem schon im Babyalter stärken. Kinder, die als Säuglinge Stallluft atmen, haben weniger häufig Heuschnupfen und Asthma.

Zu steriles Umfeld

Während nur eines von 100 Bauernbabys erkrankt, sind es in der Stadt zwölf von 100. Josef Riedler erklärt warum: "Das wachsende Immunsystem des Bauernhofkindes wird anders stimuliert als das Immunsystem in einem sterileren Umfeld, wo viele der wichtigen Stimulantien, die wir vor 50 Jahren noch hatten, abhanden gekommen sind."

Kleine Bauernhöfe

Die Hypothese vom gesunden Stallklima bestätigt sich aber nur auf traditionellen, kleinen Bauernhöfen mit verschiedenen Tieren. Landwirtschaftliche Großproduktion und Tierfabriken schützen nicht, "dort sind die Negativeinflüsse zu groß".

Unbehandelte Kuhmilch schützt

Dass Waldorf-Schulkinder gesünder sind als Kinder aus Regelschulen, geht aus der Parsifal-Studie (15.000 Kinder wurden untersucht, ihre Eltern befragt) nicht hervor. Festgestellt wurde aber, dass Kinder mit konsequentem anthroposophischen Lebensstil besser vor Allergien geschützt sind. Keine Bestätigung gab es durch die Studie für die Theorie, dass die gängigen Schutzimpfungen zu Allergien führen. Ein weiteres Ergebnis von Parsifal ist die schützende Wirkung unbehandelter Kuhmilch. Auch Kinder, die nicht auf einem Bauernhof leben, können durch Milch vom Bauernhof Schutz gegen Asthma und Allergien aufbauen. Was genau die Milch gesund macht, wissen die Forscher noch nicht.

Neue Art der Impfung

Im Stallstaub vermuten die Forscher jene Stimulantien, die das Immunsystem auf Trab bringen, durch frühen Kontakt für spätere aggressive Begegnungen wappnen. Die Gewöhnung an Bakterien im Kuhstall könne verhindern, dass sich der Körper durch Mangel an Abwehrtraining natürliche Bestandteile wie Pollen als Gegner sucht und durch überschießende Immunreaktionen abwehrt. Noch nicht gelungen ist den Studiengruppen die biochemische Identifikation jener Substanzen im Stallstaub, die immunmodulierend wirken. Im Rahmen der Forschungskooperation sind die Immunologen und Biologen der Universität Bochum und des Forschungszentrums Borstel den Auslösern auf der Spur. Stallstaubproben werden gesammelt, extrahiert und analysiert. In Mausmodellen wird untersucht, welche der isolierten Naturstoffe Allergene unterdrücken können. Die aufgespürten Substanzen sollen dann ermöglichen, ein Medikament nachzubauen, das als Impfstoff oder Milchzusatz bereits an Babys abgegeben werden kann. In fünf Jahren könnte es so weit sein, sagt Josef Riedler. Der Unterschied zur gängigen Impfung: "Wir führen kein Allergen zu, sondern eine immunstimulierende Substanz, die breiter wirkt, Schutz aufbaut."

Nicht flächendeckend

Der Primararzt denkt nicht an eine flächendeckende Impfung: "Allergien sind mit Sicherheit eine Gen-Umwelt-Interaktion." Deshalb soll die "Stallmedizin" nur Risikogruppen verabreicht werden. Dazu zählt Riedler Kinder von Eltern, die an Allergien leiden. "70 Prozent werden nie eine Allergie bekommen, es macht also keinen Sinn, 100 Prozent zu behandeln. Es geht darum, die 30 Prozent herauszufinden, die später Allergien entwickeln könnten." An entsprechenden Screening-Methoden wird intensiv geforscht. (MEDSTANDARD, Jutta Berger, 23.07.2007)