Bernhard Ludvik (46) ist stationsführender Oberarzt der Stoffwechsel- und Diabetesambulanz der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der Univ.-Klinik für Innere Medizin III in Wien. Er leitet die Arbeitsgruppe Adipositas und Stoffwechsel am AKH Wien, ist wissenschaftlicher Beirat der österreichischen Adipositas-Gesellschaft und veröffentlicht regelmäßig Beiträge zu Diabetes, Adipositas und Ernährung in anerkannten Fachzeitschriften.

Foto: MEDSTANDARD/urban

Andrea Hofbauer (46) ist Vorsitzende des Verbandes der Diaetologen Österreichs, Vorstandsmitglied des Dachverbandes der gehobenen med.-techn. Dienste Österreichs, Delegierte der European Federation of Dietitians Associations und der International Confederation of Dietitians Associations. Die Autorin zahlreicher Fachbücher arbeitet in fachspezifischen Magazinen und ist Trainerin für Gastronomie und Hotellerie in den Bereichen Ernährung und Diätetik.

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Abzunehmen ist schwierig, noch schwieriger ist es, das Idealgewicht zu halten. Im Gespräch mit Sabina Auckenthaler beleuchten Andrea Hofbauer und Bernhard Ludvik die sozialen, psychischen und medizinischen Aspekte des viel diskutierten Themas Gewichtsreduktion.

STANDARD: Warum ist es so schwierig abzunehmen?

Ludvik: Der Körper ist darauf programmiert, sein Gewicht zu erhalten, gegen eine Gewichtsabnahme wehrt er sich. Wenn wir weniger essen oder uns mehr bewegen, senkt er den Grundumsatz, nach dem Motto: Es steht weniger Energie zur Verfügung, also muss ich sparen. Hier spielt eine ganze Reihe von Hormonen mit herein. Zum Beispiel sinkt das Leptin, das für den Fettstoffwechsel wichtig ist und Hungergefühle hemmt. Die Folge ist vermehrter Hunger.

Hofbauer: Zum physiologischen und medizinischen kommt der mentale Aspekt. Es ist äußerst schwierig, über Jahre oder Jahrzehnte lieb gewonnene Lebensgewohnheiten zu verändern. Man muss daher immer individuell auf den Einzelnen eingehen und sowohl die Ursachen für das Übergewicht als auch für den Wunsch der Gewichtsreduktion herausfinden. Nur weil jemand weiß, dass Übergewicht ungesund ist, heißt das nicht, dass er motiviert genug ist, eine Verhaltensänderung zu schaffen.

STANDARD: Steht hinter Übergewicht also auch ein psychisches Problem?

Ludvik: Bei einem großen Teil der Menschen, die stark adipös sind, finden sich auch psychische Probleme. Aber auch Medikamente oder eine Stoffwechselerkrankung können Ursachen für Übergewicht sein. Häufig liegt der Grund einfach im Überangebot an Nahrung, dem wir nicht widerstehen können, kombiniert mit Bewegungsmangel. Der Mensch ist von seiner genetischen Ausstattung her für diesen Lebensstil nicht gerüstet.

Hofbauer: Bei einer diätologischen Therapie muss immer darauf geachtet werden, ob psychische Probleme hinter dem Übergewicht stehen und über das Essen Probleme kompensiert werden. Ist dies der Fall, stößt die Ernährungsberatung an ihre Grenzen. Dann muss ein Experte, etwa ein Psychotherapeut, mit einbezogen werden.

STANDARD: Wie kann es trotz aller Schwierigkeiten gelingen, erfolgreich abzunehmen?

Ludvik: Grundsätzlich gilt: Um abzunehmen, muss ein Energiedefizit erzeugt werden. Allerdings bringt es nichts, eine Diät für einige Wochen zu machen, man muss bereit sein, seinen Lebensstil nachhaltig zu verändern. Die Säulen dafür bilden eine gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung. Nur bei extremem Übergewicht, das ernste gesundheitliche Risiken birgt, denkt man vielleicht auch an chirurgische Maßnahmen wie ein Magenband oder einen Magen-Bypass.

Hofbauer: Es gibt weder eine "Wunderdiät" noch spezielle Lebensmittel, welche die Kilos schmelzen lassen. Auch Crash-Diäten bringen keinen langfristigen Erfolg und können die Gesundheit gefährden. Die Ernährung umzustellen und sich zu bewegen, sind die einzigen Mittel, die eine dauerhafte Gewichtsreduktion ermöglichen. Ich empfehle, sich professionelle Unterstützung zu suchen. Wiederholte erfolglose Versuche abzunehmen führen zu Frustration und im schlimmsten Fall zu einer Essstörung.

STANDARD: Das heißt: Wer einmal übergewichtig war, muss sein Leben lang auf sein Gewicht achten?

Ludvik: Richtig. Am besten ist es daher natürlich, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Vor allem bei Kindern, wo ungesunde Verhaltensweisen ja noch nicht über Jahre gefestigt wurden, sollten wir alles daran setzen, dass sie nicht übergewichtig werden.

Hofbauer: Gerade hier zeigt sich, wie sehr Übergewicht, vor allem Adipositas, auch ein soziales Problem ist. Obwohl das Thema Ernährung in den letzten Jahren einen enormen Medien- und Aufklärungsboom erreicht hat, greift es nicht dort, wo es notwendig wäre. Die Zahl der adipösen Kinder, vor allem in den sozial schwachen Schichten nimmt zu, häufig haben sie stark übergewichtige Eltern. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

STANDARD: Viele Menschen sagen, sie brauchen nur ein Stück Kuchen zu essen, und schon nehmen sie zu ...

Ludvik: Man wird weder von einem Stück Kuchen und auch nicht vom sprichwörtlichen "Anschauen der Schokolade" dick. Leute, die viele Crash-Diäten gemacht haben und deren Körper den Grundumsatz stark gesenkt hat, können aber schon mit einer vergleichsweise niedrigen Kalorienzufuhr zunehmen. Viel häufiger aber blenden übergewichtige Menschen einiges, was sie zwischendurch zu sich nehmen, aus. Hier kann ein Ernährungsprotokoll helfen.

STANDARD: Ernährungsprotokoll klingt nach intensiver Beschäftigung mit dem Essen. Erreicht man so nicht gerade das Gegenteil eines gesunden Umgangs mit der Ernährung ?

Ludvik: Natürlich wollen wir nicht, dass sich die Menschen obsessiv mit dem Essen beziehungsweise dem Gedanken daran beschäftigen. Das führt nur zu Essanfällen. Aber eine Zeitlang alles, was man zu sich nimmt, zu protokollieren, schafft Klarheit darüber, was, wann und wie viel man überhaupt isst. Der Ernährungsmediziner wiederum erkennt so Nahrungsvorlieben. Jemandem, der für sein Leben gern Fleisch ist, wird man nicht unbedingt zu einer sehr eiweißarmen Ernährung raten. Man muss die Präferenzen des Einzelnen berücksichtigen, damit Erfolgschancen bestehen.

Hofbauer: Viele Menschen sind von einem gesunden Umgang mit dem Essen weit entfernt. Manche Patienten essen bis zu einem halben Kilo Fleisch und Wurst pro Tag und kaum Gemüse, Salat oder Obst. Da ist zunächst schon viel gewonnen, wenn sie den Fleischkonsum auf die Hälfte reduzieren. Wer üblicherweise 4000 Kalorien zu sich nimmt, nimmt auch mit 2000 Kalorien ab. Bei anderen geht es wieder darum, die Nahrungszusammensetzung zu optimieren.

STANDARD: Das wirklich Schwierige ist ja nicht das Abnehmen, sondern das Gewicht zu halten. Gibt es überhaupt Leute, die auf Dauer schlank bleiben?

Ludvik: Es stimmt, dass die Quote jener, die dauerhaft abnehmen, sehr bescheiden ist. Aber es gibt durchaus Menschen, die mit Sport und gesunder Ernährung ihr Gewichtsproblem in den Griff bekommen und so gesundheitliche Risiken senken.

Hofbauer: Wichtig ist, klar zu machen, dass das Ziel nicht darin liegt, schnell Gewicht zu verlieren, also die "Diät" hinter sich zu bringen, sondern dass es um einen gesünderen Umgang mit dem Körper geht. Manchmal muss man Menschen von unerreichbaren Zielen abbringen. Nicht jede Frau kann die Figur von Claudia Schiffer erreichen. Die Veranlagung und konkrete Lebenssituation müssen berücksichtigt werden. Dann ist ein dauerhafter Erfolg möglich.

STANDARD: Und was empfehlen Sie jenen, denen es nach der mühevollen, aber erfolgreichen Gewichtreduktion schwerfällt, konsequent zu bleiben?

Ludvik: Zum einen dürfen Kontrollen und Beratungsgespräche nicht mit Erreichen des Zielgewichtes aufhören. Wir vermitteln den Patienten auch, ihr Gewicht selbst zu kontrollieren. Falls sie zunehmen, sollten sie sofort gegensteuern und nicht warten, bis das ganze Gewicht wieder oben ist. Das bedeutet nicht, ständig auf der Waage zu stehen, aber einmal in der Woche sollte man sich wiegen.

Hofbauer: Genauso wie beim Abnehmen ist es auch beim Halten des neuen Gewichtes sehr unterschiedlich, was dem Einzelnen hilft. Manche Menschen schaffen es allein, andere in einer Gruppe oder indem sie sich regelmäßig zum Sport verabreden.

STANDARD: Viele Menschen haben eine richtige "Diätkarriere" mit mehrfachen Gewichtsab- und -zunahmen hinter sich. Was ist ungesünder: ständige Gewichtsschwankungen oder übergewichtig zu bleiben?

Ludvik: Es ist nicht eindeutig geklärt, ob der so genannte Jo-Jo-Effekt ein zusätzliches gesundheitliches Risiko darstellt. Tatsache ist aber: Wer zehn Kilo abnimmt, ohne Sport zu treiben, verliert rund drei Kilo Muskelmasse. Mit Sport sind es etwa eineinhalb. Bei einer neuerlichen Gewichtszunahme wird nur mehr Fett aufgebaut. Häufige große Gewichtsschwankungen führen somit zu einem höheren Körperfettanteil, was schlecht ist.

STANDARD: Was ist von Medikamenten oder von Ersatzmahlzeiten, die etwa in Form von Milchshakes auf dem Markt sind, als Unterstützung einer Gewichtsabnahmen zu halten?

Hofbauer: Ersatzmahlzeiten können für manche Patienten ein guter Einstieg in ein Ernährungsprogramm sein, besonders wenn jemand kein Gefühl mehr für geregelte Mahlzeiten hat. Sie können motivieren, weil damit zu Beginn der Diät gute Erfolge erzielt werden. Ohne eine ärztliche und diätologische Betreuung und eine Abklärung, ob dieser Weg für den speziellen Fall geeignet ist, ist von solchen Produkten aber abzuraten.

Ludvik : Medikamente, zum Beispiel solche, die das Hungergefühl beeinflussen, haben unter ärztlicher Aufsicht bei manchen Patienten und in bestimmten Phasen ihre Berechtigung. Sie sind aber allein aufgrund möglicher, derzeit noch nicht bekannter Nebenwirkungen bei Langzeiteinnahme vermutlich nicht als Dauerlösung geeignet und auch nicht, wenn jemand nur ein paar Kilos abnehmen will. Eine langfristige Umstellung der Ernährung können aber auch Medikamente nicht ersetzen. (MEDSTANDARD, 23.07.2007)