Bild nicht mehr verfügbar.

Präsident Abdullahi Yusuf (rechts) bei der Eröffnung der nationalen Versöhnungskonferenz am 15. Juli 2007.

Foto: AP Photo/ Mohamed Abdulle Hassan Siidi

Eine solche Konferenz sei zwar der richtige Schritt, doch müsse diese ernsthaft betrieben und lange vorbereitet werden, sagt die Somalia-Expertin Jutta Bakonyi, hier auf Forschungsreise in Somalia.

Foto: privat

Zur Person
Die Politologin Jutta Bakonyi forscht am Max Planck Institut für ethnologische Forschung in Halle zu Konflikten, Gewalt und Staatenbildung, wobei sie sich insbesondere auf Somalia spezialisiert. Gemeinsam mit Jens Siegelberg and Stephan Hensell veröffentlichte sie 2006 den Sammelband "Gewaltordnungen bewaffneter Gruppen" (Baden-Baden: Nomos).

Foto: privat

Eine nationale Friedenskonferenz, wie sie zur Zeit in Somalia stattfindet, sei prinzipiell der richtige Weg – doch ein ernsthafter Prozess und seine Vorbereitung brauche viel mehr Zeit, erklärt die Politologin und Konfliktforscherin Jutta Bakonyi im derStandard.at-Interview mit Heidi Weinhäupl. Zudem müssten alle Gruppen – auch die moderaten Islamisten – einbezogen werden: Schließlich säßen mit den Warlords ja auch keine "Chorknaben" am Verhandlungstisch.

derStandard.at: Am vorigen Donnerstag startete in Mogadischu die nationale Versöhnungskonferenz, an der mehr als 1000 Clan-Älteste, Politiker und Warlords teilnehmen sollen. Wie beurteilen Sie die Erfolgschancen dieser Konferenz?

Jutta Bakonyi: Sehr, sehr schlecht. Die Konferenz kam vor allem auf Druck der internationalen Gemeinschaft zustande. Doch der neue Präsident Abdullahi Yusuf ist das zum einen halbherzig angegangen, zum anderen überstürzt, was in Somalia niemals funktionert. Ich vermute, dass noch lange nicht alle Clan-Ältesten angereist sind – und diese Konferenz hat nur Chancen, wenn Älteste aus allen Regionen in Somalia anwesend sind. Und wenn ihr Zeit gegeben wird. Ein Problem ist auch die Auswahl des Ortes: Mogadischu als Versöhnungsort zu wählen hat sicher eine hohe symbolische Bedeutung für die Regierung. Aber die Stadt ist nicht sicher, es wird ja auch wieder gekämpft – und solche Versöhnungskonferenzen brauchen eine sichere Umgebung.

derStandard.at: Was wäre denn eine realistische Zeitspanne für eine solche Konferenz?

Bakonyi: Die Friedenskonferenz, die zum Aufbau der Regierung führte, hat zwei Jahre gedauert. Man kann so eine nationale Versöhnungskonferenz nicht in zwei Monaten organisieren. Schon um die Leute von A nach B zu transportieren, braucht man Wochen: Es gibt keine vernünftigen Straßen. Und davor muss vor Ort diskutiert werden, wer denn wen vertreten darf und soll. Eine solche Konferenz wird auf alle Fälle viele Monate benötigen, und kann gut auch über ein Jahr ausgedehnt werden.

derStandard.at: Inwieweit waren die Zielsetzungen der Versöhnungskonferenz realistisch?

Bakonyi: Die obersten Ziele waren Versöhnung der Clangruppen, die Akzeptanz der Regierung, der Aufbau lokaler Regierungsstrukturen, aber auch eine schnelle Entwaffnung der Clan-Milizen. Doch die Clan-Ältesten werden die Milizen weder entwaffnen wollen noch können, schließlich sind diese Clan-Milizen nicht nur für Angriffe verantwortlich, sondern sorgen lokal für Schutz und Sicherheit. Zudem strebt Abdullahi Yusuf zwar eine Versöhnung an, will der Clan-Konferenz aber keinen allzu großen Einfluss auf die Regierung geben – aber das wäre natürlich erforderlich, sollte sie realistisch sein.

derStandard.at: Konnte die Übergangsregierung ihre Position seit dem Einmarsch Äthiopiens im letzten Dezember festigen?

Bakonyi: Überhaupt nicht, hier gibt es keine Fortschritte. In Mogadischu ist die Regierung in eine Reihe von Kämpfen und Anschlägen, Granatenwürfen, kleinerer Bombenanschläge, verwickelt. Sie hält sich nur an der Macht, weil Äthiopien sie militärisch unterstützt.

derStandard.at: Welche Rolle spielt der Islam seit 1991, dem Ende des Bürgerkriegs, bis heute?

Bakonyi: Der Islam ist sehr tief und stark verankert in der somalischen Kultur – 99 Prozent der Somalis gehören dem Islam an. Doch das ist eher ein traditioneller Islam, in dem somalische Tradition und islamische Religion – auf der rechtlichen Ebene Scharia und Gewohnheitsrecht vermischt sind. Seit den 70er-Jahren gewinnt eine städtische missionarische Bewegung an Bedeutung, welche die islamische Praxis in Somalia radikalisieren und den Islam ent-traditionalisieren will: Weg von den Clan-Strukturen, hin zu einem modernisierten Islam. Hier gibt es die rein missionarischen und die politischen Bewegungen. Und unter den politischen muss man wieder zwischen den radikalen und den moderaten unterscheiden. Die moderaten Bewegungen fordern politischen Einfluss, sind aber zu einem gewissen Grad islamisch-demokratisch und lehnen Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ab.

derStandard.at: Wie viel Rückhalt haben die Islamisten in der Bevölkerung?

Bakonyi: Die moderaten Islamisten haben in Somalia großen Einfluss. Das liegt daran, dass sie seit 1991, seit dem Zusammenbruch des Staates, Sozialarbeit leisten: Suppenküchen für unterernährte Bevölkerungsteile, Erziehung über die Koranschulen, sie haben Gesundheitszentren etabliert – vor allem in den Städten. Bei den Nomaden auf dem Land haben sie deutlich weniger Einfluss.

derStandard.at: Und der radikale Flügel?

Bakonyi: Auch den radikal-militanten Flügel gibt es seit den 70er-Jahren. Ihr Einfluss hat ebenfalls nach 1991 zugenommen. Sie haben auch mehrfach versucht, in verschiedenen Städten politischen Einfluss zu gewinnen oder diese zu übernehmen, sind aber immer von lokalen Clans zurückgeschlagen worden.

derStandard.at: Inwieweit gibt es hier bei diesen Gruppen auch Verbindungen zum internationalen Terrorismus, zur Al-Kaida?

Bakonyi: Die Verbindungen zur Al-Kaida werden immer wieder der Al-Ittihad-al-Islami nachgesagt. Diese Gruppe hat aber seit 2000 stark an Einfluss verloren, man weiß nicht, ob sie noch als einheitliche Organisation existiert. Teilweise aus dieser Gruppe heraus hat sich aber ein neues radikal-islamisches Netzwerk gebildet, das auch eine eigene Miliz aufgestellt hat, die so genannten Al-Shabaab-Milizen oder Jugend-Milizen. Diese Gruppe, die ganz klar einen Staat auf Basis des Islam fordert, hat sich stärker transnationalisiert, ist beispielsweise mit Afghanistan verbunden und auch in internationale Finanzierungsnetzwerke eingebunden. Das ist eine sehr kleine Minderheit in Somalia, die aber über Waffen verfügt und die insgesamt etwas an Einfluss gewonnen hat.

derStandard.at: Wie hoch ist der Einfluss dieses radikalen Flügels innerhalb der Union islamischer Gerichte, die ja vor dem Einmarsch Äthiopiens die Macht in Mogadischu übernommen hatten?

Bakonyi: In der Union islamischer Gerichte sind alle islamistischen Strömungen vertreten. Die Mehrheit ist moderat, doch haben auch hier die Radikalen an Einfluss gewonnen. Gründe dafür lieferte die Anti-Terror-Allianz der Warlords mit den USA und der Anti-Islamisten-Diskurs der Übergangsregierung. In den verbalen Gefechten zwischen den Gerichten und der Regierung haben sich die Positionen der Gerichtshöfe zunehmend radikalisiert. Generell aber sind diese Gerichtshöfe nichts Neues, sie haben seit dem Zusammenbruch des Staates in den 90er-Jahren zusammen mit den Clanältesten lokal für eine gewisse Rechts-Sicherheit und Ordnung gesorgt.

Als sie sich in Mogadischu zur „Union islamischer Gerichte“ zusammengeschlossen haben, genossen sie große Unterstützung in der Bevölkerung. Das liegt weniger daran, dass die Bevölkerung eine Islamisierung Somalias wünscht, vielmehr boten sie eine echte Alternative zu den andauernden Kämpfen und der Herrschaft der Warlords. Auch für Frauen bietet der Islam teilweise Verbesserungen, teilweise aber auch Einschränkungen (siehe Hintergrund).

derStandard.at: Was ist das wahrscheinlichste Szenario für Somalia in den nächsten Jahren?

Bakonyi: Man kann in Somalia schwer voraussehen, was passieren wird – beispielsweise hat der schnelle Aufstieg der islamischen Gerichte alle internationalen Beobachter ausnahmslos überrascht. Doch von den afrikanischen Ländern, die Soldaten schicken sollten, hat bisher nur Uganda Soldaten gesandt – kein anderer afrikanischer Staat scheint bereit dazu, Soldaten abzustellen. Und ohne so eine Unterstützung hat die Übergangsregierung keine Chancen.

derStandard.at: Was könnte aus Ihrer Sicht Erfolg versprechen?

Bakonyi: Im Prinzip ist eine nationale Versöhnungskonferenz der richtige Weg, sie muss nur ernsthaft betrieben werden. Das erste Ziel sollte nicht Entwaffnung oder die Eingliederung von Somaliland sein, das sich unabhängig erklärt hat. Wichtig wäre es vielmehr, dass alle Clans an einem Tisch sitzen und auch moderate islamische Gruppen mit einbezogen werden. Auch mit diesen Elementen Somalias muss der Dialog gesucht werden. Schließlich: Es sind alle Warlords eingebunden, und die sind politisch und in Bezug auf Menschenrechte auch nicht gerade Chorknaben. Da können doch auch islamische Gruppen vertreten sein. Ziel muss es sein, eine Verfassung und Regierungsstruktur zu entwickeln, welche sowohl die Macht islamistischer Gruppen als auch der Warlords langfristig eindämmt. Und auch die Macht des Präsidenten selbst: Abdullahi Yusuf ist ein alter Militär-Hardliner, der noch zusammen mit dem ehemaligen Diktator ausgebildet wurde. Es muss klar werden, dass er auch abgelöst werden kann. Hoffentlich durch moderatere Kräfte.

derStandard.at: Was sollte die internationale Gemeinschaft in dieser Situation tun?

Bakonyi: Derzeit wird Abdullahi Yusuf relativ freie Hand gelassen, wodurch er die Konferenz für seine Machtpolitik nutzen kann. Man müsste ihm ein Expertenteam zur Seite stellen, das den Prozess überwacht und Druck auf ihn ausübt. Zunächst muss auch ein ernsthaftes Konzept dieser Friedenskonferenz erarbeitet werden.

Und dann, für die Zeit nach der Friedenskonferenz, braucht es sehr, sehr viel Geld. Allein die Entwaffnung der Milizen in Somalia wird Jahre dauern. Man muss diesen jungen Männern aus den Milizen Einkommensmöglichkeiten zur Verfügung stellen, man muss ihnen Alternativen anbieten. Und man muss dafür sorgen, dass der Schutz durch eine Armee oder eine Polizei gewährleistet wird. Das ist ein langfristiger Prozess, der nicht billig sein wird. Und Somalia kann das nicht finanzieren, das ist ganz klar.

derStandard.at: Reicht es aus, die nationale Einheit wieder herzustellen?

Bakonyi: Nein, das ist zwar wichtig, doch in Somalia wird sich nur lokal was ändern – von oben kann nichts diktiert werden. Die Somalier sind es seit dem Abzug der UN-Truppen 1995 gewohnt, dass alles sich auf lokaler Ebene abspielt. Schutz und Recht liegen in der Hand des Clans – und nicht bei einer Polizei oder irgendeinem Abdullahi Yusuf, der Regierungsgewalt beansprucht, aber faktisch nicht hat. Gerade die Entwicklungshilfe muss damit fortfahren, lokale Prozesse zu fördern. (Heidi Weinhäupl, derStandard.at, 25.7.2007)