Slow Food macht sich in mittlerweile 150 Ländern für die Erhaltung traditioneller Spezialitäten stark.
Zwei von nur noch 200 Riesenochsen, die einst für Istrien typisch waren.

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SF-Gründer Carlo Petrini

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Die von Carlo Petrini ins Leben gerufene Slow-Food-Bewegung war erst ein paar Jahre alt, als sich ihr Gründer Mitte der 1990er-Jahre nach langer Zeit wieder einmal zum alljährlichen Fest des Kapauns nach Morozzo, einem Dorf in seiner Piemonteser Heimat einfand. Bei den Petrinis galt der kastrierte und gemästete Hahn (und nichts anderes ist der Kapaun) als Feiertagsbraten schlechthin.

Entsetzt musste der legendäre Feinschmecker feststellen, dass die Kapaunzüchter mittlerweile an den Fingern einer Hand abzuzählen waren und das Fest dementsprechend eher einer Trauerfeier glich. Ein Produkt, ein Geschmack aus Petrinis Kindheit war vom Aussterben bedroht. Also trommelte der Slow-Food-Aktivist die lustlosen Produzenten zusammen und machte ihnen das Angebot, die verbliebenen fünfhundert Kapaune um das Doppelte des verlangten Preises aufzukaufen: Als Stimulation, ihre Hähne weiterhin zu entmannen. Das Angebot stieß bei den Bauern nur auf Misstrauen.

Doch Petrini hat Freunde, viele Freunde, die er sofort mobilisierte und welche innerhalb eines Wochenendes aus allen Winkeln Italiens anreisten um die begehrten Kastraten zu erstehen. Zum Preis von zwei für einen.

Arche des Geschmacks

Die Rechnung ging auf: Heute erfreut sich das Festtagsgeflügel wieder bester Gesundheit und der erste Slow-Food-Förderkreis (Italienisch: presidio) war geboren. Mittlerweile sind es an die zweihundert dieser Kreise, die quer durch Italien dafür sorgen, dass die Traditionen und Herstellungsmethoden zahlreicher althergebrachter Delikatessen nicht verloren gehen. Aufgenommen in die "Arche des Geschmacks", die Vorstufe zum Förderkreis, wurden nicht nur Zuchttierrassen wie das halbwilde Streifenschwein Cinta Senese aus der Gegend von Siena oder der Ragusische Esel aus dem kargen Sizilien, sondern auch alte Apfelsorten, Rohmilchkäse, Hülsenfrüchte und sogar die durch Umwelteinflüsse in ihrem Erwerb bedrohten Lagunenfischer von Venedig. Mit dem Förderkreis für das scharfe Senfsamen-Öl aus dem nordindischen Uttar Pradesh entstand 2003 das erste Präsidium außerhalb Italiens - an die hundert weitere sollten folgen.

Während sich die italienischen Förderkreise meist nur um ein Produkt drehen, musste Slow Food seine Strategien in anderen Ländern an andere Bedingungen anpassen. Da etwa 90 Prozent der Kakaopflanzer weniger als fünf Hektar Land besitzen und 80 Prozent des Kakaowelthandels von sechs Firmen bestimmt werden, haben sich die Förderkreise in den Wäldern Venezuelas, Brasiliens und Madagaskars auch zu Fair-Trade-Organisationen gewandelt, die danach trachten, dass die Bauern nicht nur beste Qualität anbauen, sondern dafür auch anständig bezahlt werden. Andere lateinamerikanische Förderkreise wie die Pando-Nuss in Bolivien oder die Chinantla-Vanille in Mexiko verteidigen die Ressourcen des Regenwaldes und fördern nachhaltige Agro-Forstwirtschaft. Und im guatemaltekischen Huehuetenango gedeiht auf bis zu 1900 Höhenmetern einer der besten Kaffees der Welt, dessen indianische Produzenten nicht nur darin geschult werden, nur die besten Bohnen zu pflücken, sondern auch in Geschmacksworkshops lernen, wie sie selbst die Qualität des Endproduktes verbessern können. In den USA wurde ein landesweiter Förderkreis für die wenigen Rohmilchkäsereien gegründet, in der Hoffnung, deren Produkte auf diese Art besser gegen allzu restriktive Hygienegesetze zu verteidigen.

Außergewöhnlichkeit eines Produktes

Auch in Mitteleuropa, nahe unseren Grenzen, sind in den vergangenen Jahren Förderkreise entstanden. Die paprizierten Würste aus dem aromatischen Fleisch des halbwilden Mangalizaschweines aus der ungarischen Puszta, der geräucherte Oscypek-Käse aus der polnischen Tatra und die verbliebenen zweihundert Stück Riesenochsen in den Wäldern Istriens stehen alle unter dem Schutz der Organisation. In der Schweiz, wo es bislang nur zwei Präsidien im italienischsprachigen Tessin gibt, hat sich der Supermarktriese Coop der Sache als Sponsor angenommen - es liegen Anträge für sage und schreibe dreißig neue Förderkreise vor.

Mehr als die Biolandwirtschaft, die zwar vom neu erwachten Slow-Food-Convivium Wien gepusht wird, hinter der sich wegen der massiv fortschreitenden Industrialisierung der Bioanbaumethoden aber auch Gefahren verbergen, sind es für Slow Food generell die kleinen, nachhaltig arbeitenden Betriebe rund um den Erdball, die es zu schützen gilt. Ihr Überleben ist auch das Überleben der Vielfalt der Pflanzen, der Tiere und der Kulturen, die den Reichtum des Planeten ausmachen. Die Slow-Food-Förderkreise sollen die Außergewöhnlichkeit eines Produktes vermitteln und dem Konsumenten klar machen, dass es wert ist, gefunden, gekostet und genossen zu werden. (Georg Desrues/Der Standard/27/07/2007)