derStandard.at: Entführte deutsche Zivilisten und Anschläge auf Soldaten: Haben die Deutschen bereits das gleiche Besatzer-Image wie die Amerikaner in Afghanistan?
Khalatbari: Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart hatte und hat Deutschland ein starkes Interesse an der Stabilisierung Afghanistans gezeigt. Das vergisst das afghanische Volk nicht innerhalb weniger Monate. Trotzdem ist der Deutschlandbonus über die letzten Jahre am Hindukusch geschrumpft. Trotz diesen Trends hat die Bundeswehr bislang kein Besatzer-Image. Wahrscheinlich, weil sie sich im Norden des Landes gut aufgestellt und durch ihren zivil-militärischen Ansatz profiliert hat.
derStandard.at: Stehen die Anschläge auf Deutsche in Zusammenhang mit der Abstimmung des Bundestags über eine Mandatsverlängerung der Truppen im Herbst?
Khalatbari: Die Al-Qaida hat mit ihren menschenverachtenden Anschlag in Madrid 2004 die spanischen Wahlen beeinflusst. Dieses Jahr versuchte man durch Geiselnahmen die Regierungen Italiens und Frankreichs unter Druck zu setzen. Nun ist wegen der anstehenden Mandatsverlängerung im Oktober wahrscheinlich Deutschland an der Reihe.
derStandard.at: Wäre es sicherer für deutsche Soldaten und Zivilisten, wenn sich die Deutschen aus der OEF (Operation Enduring Freedom)-Anti-Terroreinsatzgruppe zurückziehen würden?
Khalatbari: Die klare Trennung von Kampfeinsätzen gegen Terroristen im Süden und die zivil-militärische Wiederaufbau-Mission im Norden des Landes würde durch eine Nichtverlängerung des OEF-Mandats und einer Erweiterung des ISAF, bei vielen Afghanen für Unverständnis sorgen. In Afghanistan werden für den Wiederaufbau, die Stabilisierung und Sicherheit auch in Zukunft beide Mandate dringend benötigt. OEF ist zwecks notwendiger Terrorbekämpfungsmaßnahmen in Afghanistan aktiv und kann nicht Befindlichkeiten deutscher Soldaten oder Entwicklungshelfer geopfert werden. Die meisten im Einsatz vor Ort befindlichen Kollegen verstehen das und sind gegen einen OEF-Rückzug. Es geht doch auch um die Sicherheit ihrer Familien zu Hause.
derStandard.at: Deutschland will sich vor allem im Wiederaufbau und der Sicherung der Stabilität stark machen. Wie effektiv sind die Deutschen in ihrer tatsächlichen Aufbau-Hilfe?
Khalatbari: Deutschland stellt bis 2010 rund 900 Millionen Euro Hilfsgelder, jährlich ca. 3.500 Soldaten und über 400 Personen im zivilen Sektor für Afghanistan bereit. Unkonstruktive Kritik erscheint bei einem solchen Mammut-Engagement nicht förderlich. Gerade, weil die Förderbereitschaft sogar noch in den letzten Monaten erhöht wurde. Nicht nur die Geber, auch die Nehmer – die afghanische Regierung – muss sich mehr für das Land engagieren.
derStandard.at: Von Amerikanern und Briten wurde oftmals kritisiert, dass sie sich um die "unangenehmen Dinge" kümmern müssen, während die Deutschen Malstifte verteilen. Hat sich ihr Image diesbezüglich verändert?
Khalatbari: Malstifte? Die Deutschen haben das komplette Land mit Schulen übersät, betreiben intensiv Lehrerfortbildungskurse und bekleiden im Kampf gegen die Analphabetisierung eine wichtige Rolle. Beim Thema Grundbildung stehen die Deutschen ganz vorne an der Front. Aber nicht nur da: im März wurde ein Entwicklungshelfer ermordet, seit April fliegen im Süden deutsche Tornados, im Mai erhöhte sich durch den blutigen Anschlag in Kunduz die Zahl der in Afghanistan verstorbenen Soldaten auf 21 Personen und letzte Woche kam ein Ingenieur aus Mecklenburg-Vorpommern zu Tode.
derStandard.at: Was halten sie vom deutschen Koalitionskurs, wo man weder an einen Abzug noch an Reduktion bzw. Umverteilung der deutschen Truppen denkt. Ganz im Gegenteil, es gibt Signale auch im Süden mitzuwirken.
Khalatbari: Das Signal, das durch die Mandatsverlängerungen entsteht, wird den Radikalislamisten in Afghanistan die "politische Morgenluft und Antriebskraft" nehmen sowie den afghanischen Staat weiter stärken. Ob ein möglicher Einsatz der Bundeswehr im Süden erfolgsversprechend ist, kann Ihnen nur ein erfahrener General beantworten. Das Thema "Afghanistan-Mandate" scheint aber grundsätzlich über das Potential zu verfügen, sich zu einem innenpolitischen Zankapfel oder außenpolitischen Stolperstein entwicklen zu können.
derStandard.at: Wie müsste Deutschland in Afghanistan operieren um Ergebnisse zu erzielen?
Khalatbari: In sechs Jahren kann man in einem Land, in dem 23 Jahre ein Bürgerkrieg tobte, keine blühenden Landschaften entstehen lassen. Das große bisherige Manko besteht darin, dass obwohl in Afghanistan demokratische Institutionen etabliert wurden, eben diese nicht ausreichend zum Leben erweckt werden konnten. Es fehlen in den geschaffenen Strukturen die dazu passenden Akteure. Demokratie kann man nicht im Crash-Kurs lernen. Wir brauchen einfach mehr Zeit und Geduld.
derStandard.at: Was hat Deutschland von diesem Einsatz. Der Großteil der Deutschen spricht sich für einen Abzug aus. Kann die Regierung innenpolitisch aus dem Einsatz Kapital schlagen?
Khalatbari: Deutschland hat von dem Einsatz in Afghanistan so viel wie Österreich, Großbritannien oder Frankreich. Es muss klar sein, dass der Einsatz in Afghanistan Sicherheit für den Westen sowie eine großartige Entwicklungschance für Afghanistan bedeutet. Eine Regierung sollte daher in erster Linie im Interesse ihres Landes handeln und nicht nur versuchen, Kapital zu schlagen. Dazu gehört im Hinblick auf Afghanistan vielleicht auch, aus Gründen der Staatssicherheit unpopuläre Entscheidung im Sinne des Allgemeinwohls treffen zu müssen.
derStandard.at: Was beunruhigt Sie persönlich, fürchten Sie selbst Ziel eines Anschlages oder einer Entführung zu werden?