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Im verfinsterten Heim der Thomas-Bernhard-"Guten": Thomas Wodianka und Viviane de Muynck im Salzburger Landestheater.

Foto: APA/EPA/Hans Klaus Techt
Salzburg - Als den Prosaverfinsterer Thomas Bernhard 1965 der Auftrag erreichte, für die Salzburger Festspiele ein Stück zu verfassen, da konnte er naturgemäß noch nicht wissen, dass eine nachfolgende Generation von Wohlstandstheatermachern seinen Bühnenerstling Ein Fest für Boris auf die leichte Betriebsschulter nehmen würde.

Nicht so sehr achselzuckend, aber erschreckend treuherzig zaubert Regisseurin Christiane Pohle in diese Finsternis der wechselseitigen Existenzverleidung, in die Wahn- und Schamwelt der Beinamputierten ein paar sauber geleimte Krückstöckchen hinein. Im Salzburger Landestheater hassen die "Beinlosen" einander nicht mehr. "Die Gute", in Gestalt der im Fauteuil thronenden Flämin Viviane de Muynck eine silbenknirschende Matrone, gebietet ihrem kleinen Hofstaat mit der mürben Sentimentalität einer gemütlich verdämmernden Provinzprimadonna.

Hinter ihrem Rücken dreht sich knirschend Annette Kurz' kahle Drehbühne. An einem statisch beschwerten Galgen hängen wie zwei gestockte Tränen zwei Kristalllüster -geschoppt wie Ringe um einen hässlichen Industrieleuchter, der für die Domestikin steht: Johanna (Nadine Geyersbach), die die Zuwendungsattacken der "Guten" wie KneippkurGüsse über sich ergehen lässt.

Genet und Beckett

Bernhard erzählt in zwei "Vorspielen" und einem "Fest", die Samuel Beckett und Jean Genet auf Sommerfrische am Fuschlsee einander zugeraunt haben könnten, von erstarrten Verhältnissen. "Die Gute" molestiert die sie umgebende Kleinstadtwelt mit absurden Verbesserungsvorschlägen. Sie hat als Witwe den jungen Boris aus dem Beinlosenasyl herausgeheiratet, und sie behandelt ihre beiden Lebensmenschen wie Aufziehspielzeuge. Wobei Johanna (Geyersbach) eine gliederzerrende und mundwinkelziehende Verachtung an den Tag legt.

Von Genets Zofen hat sich Bernhard den Sinn für rituelle Enthüllungen geborgt. Im zweiten Vorspiel wird sie im Fauteuil, ihrem "Rollstuhl", als verlotterte Ballkönigin über die Tiefe der Bühne geschoben. Ein Juchzen und Freudeglucksen entringt sich ihrer mächtigen Brust. Im Hintergrund reißt Boris (Thomas Wodianka) auf dem Spitalsbett sein Leintuch in lange Streifen und wirft verkettete Stofffetzen wie Angelruten nach Johanna aus: ein schmollender Krüppel, der seine trübe Existenzsuppe nicht auslöffeln mag.

Über allen diesen unleidlichen Verhältnissen steht aber ein milde-milchiger Versöhnungsmond: Bernhards sich bissig türmende Tiraden werden auf das Normalmaß heruntergebrochen. In den langen Generalpausen zwischen ihren Redeschwällen vergönnt sich "Die Gute" die sehnsüchtig schwellende Chromatik des Wesendonck-Liedes Im Treibhaus. Auf Richard Wagners Halbtonleitern unternimmt die Haustyrannin eine Art von therapeutischem Herzensaufschwung.

Wie man überhaupt sagen muss: In einer Inszenierung wie derjenigen Christiane Pohles werden die Bernhard-Monstren zu mickerigen Menschenbrüdern. Man hört sie gackern, sieht sie mit ihren Zigarren hübsche Rauchkringel in den Himmel blasen, obwohl sie in Wahrheit im Dritten Akt doch gemarterte Krüppel sind - die in Bernhards Vorlage auf Stümpfen vegetieren, in zu kurzen Betten ("Kisten!") schlafen und von der "Guten" alljährlich, zu Boris' Geburtstagsfest, pervers ausgehalten werden.

Bernhards kalter Hohn scheint modernen Gemütsvermessern schlechthin unerträglich zu sein. Es wird nach Gründen geforscht, in den verhärmten Seelen nach verschütteten Abgründen gegraben.

Wo Bernhard in böswilliger Übertreibung ausruft: "Die Verhältnisse sind naturgemäß heillose und verfinsterte - aber gerade deshalb sind sie auch urkomisch!", da werden in dieser Koproduktion des Düsseldorfer Schauspiels mit den Salzburger Festspielen einem frühen, statischen Text lauter kleine Erkenntnissparlampen aufgesteckt.

Lob der Sozialarbeit

Und somit ist auch dieses Fest für Boris trotz einiger Detailschönheiten den wohlmeinenden Sozialarbeitern in die Hände gefallen - unrettbar, sozusagen. Die sechs geladenen Krüppel halten die gelähmten Beine kommod von sich weggestreckt. Wie Pohle überhaupt darauf verzichtet, Amputationsanstalten zu treffen. Was dann logisch unstimmig ist, wenn etwa "Die Gute" ihre Ausgehschuhe anprobieren soll und dafür ihre von Johanna umständlich zu bestrumpfenden Arme als Strecker benützt.

Den Schluss hat Pohle gleich ganz neu verlegt (wie sie angeblich auch ein kleinteiliges Parkett auf die Bühne gezaubert hat, von dem der Parterre-Sitzer nicht ein Astloch sieht!): Anstatt die Trommel schlagend tot über der Tafel zusammenzubrechen, quält sich der Knabe aus dem Fauteuil hoch - hievt die abgestorbenen Beine wieder und wieder in die Vertikale, ehe ihn die liebende Johanna erstickend von seinem Schicksal als Anhängsel erlöst.

Die Geschichte eines Verrats also: Ihre Herrin ist diejenige, die alles überlebt. So wie ja auch Bernhard wohlmeinende Anschläge übersteht. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Printausgabe, 30.07.2007)