Doris Stelzers neues Stück "shifted views"
Foto: ImpulsTanz/ Frenzel
Wien - Dem gespenstischen Thema des Gebrauchs weiblicher Körper in der Werbeindustrie widmet die Wiener Choreografin Doris Stelzer ihr neues Stück shifted views , das nun bei ImPulsTanz im Wiener Schauspielhaus uraufgeführt wurde.

Das Solo bildet nicht nur den Höhepunkt in der konsequenten bisherigen Entwicklung Stelzers, sondern setzt auch einen Glanzpunkt in das an starken Stücken nicht gerade arme Festival. Sowohl im thematischen Zugang als auch in Choreografie, Dramaturgie und der Umsetzung durch die fantastische Tänzerin Lieve De Pourcq ist shifted view geradezu perfekt.

Stelzer hat sich entschieden, dem Stereotyp des Werbesujets "Traumkörper" kein Anti-Klischee entgegenzusetzen. Vielmehr überblendet sie das Frauenbild aus der Reklame mit De Pourcqs athletischem Körper, der Manöver vollbringt, wie sie das klassische Werbemodel unmöglich zustande bringen kann. So entstehen irritierende Unschärfen, gerät die Sicherheit des Stereotyps ins Wanken. Die Tänzerin stellt sich lässig in Pose, starrt ins Publikum und beginnt - lediglich mit ihren Bauchmuskeln und Organen - eine monströse Choreografie zu "tanzen".

Die Gedärme scheinen ein Eigenleben zu entfalten, aus der Bauchhöhle drängen zu wollen, die Rippen beginnen zu schnappen wie ein gerade noch mit Haut bedecktes Alien. Ähnlich sinister bringt De Porcq daraufhin ihre zuvor unbewegt gewesenen Gesichtszüge zum Entgleiten und leitet in einen zweiten Teil über, in dem es um den Fetisch des langen, in Stöckelschuhen mündenden Beins und um das Pathos der Pose geht. Stelzer setzt den Höhepunkt dieses Stücks also an den Beginn. Von da an lässt sie ihre Figur in einem berührenden Bogen langsam absinken, näher an das Reklameklischee und dessen Manipulationskraft, weg vom Publikum.

Anders als die exaltierte männliche Diva Lili Handel des bulgarischen Choreografen Iva Dimchev, die sogar ihr Blut unter den Zuschauern versteigert. Dieser überaus eindrucksvolle tänzerische und verbale Monolog führt weit über die bekannten Drag-Muster hinaus in eine Dystopie, in der alles geschlechtlich und ziellos ist. In der die Wunder der Welt sich nur noch auf den eigenen Körper und die Allüren des Gemüts projizieren lassen.

Hampelmann

In einen wirklichen Albtraum gerät die Männerfigur in Meg Stuarts jüngstem Stück Blessed. Unter einem großen Regen löst sich die heile Pappendeckelwelt dieses Hampelmannes auf, und er mutiert nach einem vergeblichen Versuch, sein Unglück zu überspielen, zur Elendskreatur. Diese setzt sich eine Mundklammer, die ihn die Zähne blecken lässt, und eine Allegorie auf das Entertainment tanzt um ihn herum.

Nie zuvor in ihrer Karriere seit Beginn der 90er-Jahre war Stuart so genügsam in ihren Ansprüchen an sich selbst. Blessed schwächelt vor dem großen Hintergrund der Choreografin. Ein Ausreißer. Hoffentlich. (Helmut Ploebst / DER STANDARD, Printausgabe, 30.07.2007)