Am zehnten Verhandlungstag im Bawag-Prozess wird weiter der erste große "Totalverlust" der Bank im Oktober 1998 untersucht. Investmentbanker Wolfgang Flöttl verlor 639 Millionen Dollar (468 Mio. Euro) an Bawag-Geldern, weil er seine Geschäfte mit dem "Hebel" (leverage), also Fremdkapitalfinanzierung, in Yen finanziert hatte.

Drei Risiken

Flöttl schilderte am Dienstag, wie es dazu gekommen war. Demnach hat er damals alles verloren, weil er in seiner Spekulation drei Risiken kumuliert eingegangen war: Das Zins-, Währungs- und Hebel-Risiko.

Der Investmentbanker hatte das Kapital für seine Spekulationen in japanischen Yen aufgenommen, da er einen fallenden Yen erwartete, wie er heute vor Gericht erläuterte. Der Yen war aber im Oktober 1998 gegenüber dem Dollar stark gestiegen. Durch die "Leverage" ("Hebel") erhöht sich sowohl der Gewinn, als auch der Verlust, es wird also das Risiko vergrößert.

Flöttl erklärte, im Herbst 1998 die selben Spekulationsgeschäfte wie schon seit 1995 getätigt zu haben - diesmal aber in Yen finanziert. "Wir wollten ein Produkt kreieren, mit dem die Bawag mit großer Wahrscheinlichkeit eine hohe Rendite gehabt hätte". Die im Oktober 1998 erfolgte 20-prozentige Bewegung zwischen Dollar und Yen jedoch habe es bis dahin seit 1945 in einer Weltwährung nicht mehr gegeben.

"Wenn die Währung stabil geblieben wäre, hätten wir eine hohe Rendite gehabt", behauptet Flöttl heute. In Folge des hohen Anteils an Fremdfinanzierung bei der Spekulation wirkte sich das Währungsrisiko daraufhin so aus, dass das gesamte eingesetzte Kapital - 639 Mio. Dollar von der Bawag und rund 100 Millionen Dollar aus Flöttls Privatschatulle - innerhalb von zwei Wochen völlig verloren ging, schilderte er heute.

Das eigentliche Spekulationsgeschäft war offenbar wenig spektakulär: Flöttl hatte laut eigenen Angaben unter anderem Einjahres-Schatzanweisungen gekauft, aber eben "mit hoher Hebelwirkung". Dieser hohe Fremdkapitalanteil wirkte sich dann beim steigenden Yen fatal aus.

In Dollar "hätte es keinen Verlust gegeben"

Die Anwälte der Ex-Bawag-Chefs Johann Zwettler und Helmut Elsner fragten mehrere Male nach: "Wären Sie in US-Dollar geblieben, was wäre dann passiert?" Flöttl räumte ein, "dann hätte es keinen Verlust gegeben. Ganz klar, das war meine Entscheidung". Zwettler-Anwalt Gerald Toifl hakte nach: "Musste man in Yen gehen, um diese Erträge zu erzielen?" Flöttl entgegnete: "Man hätte gar nichts tun müssen, wir hatten das Recht, fremdzufinanzieren". Auf die nächste Frage Toifls, "Hätten Sie weniger Fremdkapital aufgenommen, wäre dann ein geringerer Verlust eingetreten?", antwortete Flöttl patzig: "Wenn ich nichts investiert hätte, wäre gar kein Verlust aufgetreten". Der zweite Zwettler-Anwalt Mario Schmieder fragte erneut: "Wie kann alles weg sein?"

Flöttl rechnete anhand eines Beispiels vor, wie das durch Fremdkapital überlegte Eigenkapital bei einem Hebel von eins zu fünf (ein Teil Eigenkapital, fünf Teile Fremdkapital) durch Veränderung des Yen-Kurses verloren gehen konnte. "Der größte Teil des Verlustes ist durch diese Finanzierung in Yen erfolgt", sagte er auf eine Frage von Elsner-Anwalt Wolfgang Schubert. Er habe je nach Investment verschiedene "Hebel" angesetzt, im Durchschnitt lag der Hebel wohl über fünf - also über fünf Teilen Fremdkapital.

Broker hatte Zugriffsrecht vor Bawag

Flöttl schilderte dann, wie er bereits im September 1998 Helmut Elsner davon informiert habe, dass er vom Broker einen so genannten "margin call" (eine Aufforderung, Geld nachzuschießen, wenn bei der Spekulation bisher Verluste eingetreten sind) in Höhe von 9 Mio. Dollar bekommen habe. Die Bawag habe ihm daraufhin an die Firma "Narrow Investments" weitere 89 Mio. Dollar übertragen.

"Diesen 9 Mio. Dollar hat man noch weitere 80 Mio. Dollar nachgeworfen?", fragte ÖGB-Anwältin Gerda Kostelka-Reimer. "Elsner sagte, er möchte eine hohe Rendite haben", sagte Flöttl, der auch betonte, zu seinen Spekulationen durch Verträge mit der Bawag berechtigt gewesen zu sein. Zur Untermauerung dessen verwies er auf einen Satz in einem Vertrag: "Such Assets may be acquired on margin terms offered by the Brokers". Die - damalige - Gewerkschaftsbank habe auch von der "Leverage" gewusst.

Bank hatte keinen Zugriff auf verpfändete Firmenanteile

Die Anteile an seinen Firmen, über die Flöttl spekulierte, waren der Bawag zwar verpfändet, den ersten Zugriff darauf habe aber in Folge der Fremdkapitalfinanzierung der Broker gehabt, berichtete Flöttl weiters. In den Verträgen mit der Bawag sei dies zwar nicht ausdrücklich erwähnt, ergebe sich aber laut Flöttl aus dem amerikanischen Recht.

Richterin Claudia Bandion-Ortner kündigte an, einen Sachverständigen für derartige US-Rechtsfragen hinzuzuziehen.

Elsner schießt scharf

Im weiteren Verlauf der heutigen Verhandlung fuhr Helmut Elsner schwere Geschütze gegen Flöttl auf. "Nach dem, was da heute diskutiert wird, hab ich den Eindruck, er (Flöttl, Anm.) hat die Bank über den Tisch gezogen!", sagte Elsner. Flöttl habe "aus der Sicht von heute" bereits vor 1998 "vereinbarungswidrig gehandelt", deponierte Elsner.

Die Bawag habe mit Flöttl niemals ausgemacht, ein so hohes Risiko einzugehen, widersprach Elsner den Aussagen Flöttls vehement. Vielmehr habe ihm die Bank "fix verzinsliche Kredite" überlassen: "Das war's. Das Risiko für uns war uns nicht bewusst." Flöttl hätte so zu arbeiten gehabt, "dass unser Kapital nicht verschwindet". Natürlich könne auch ein Spekulant Pech haben: "Das bringt aber keineswegs zum Ausdruck, dass er das Geld der Bank gefährdet".

Elsners Anwalt Wolfgang Schubert verwies auf einen Zinskorridor in der Vereinbarung zu "Narrow Investments", demnach hätte die Bawag im schlechtesten Fall der Veranlagung eine Verzinsung von 1 Prozent über LIBOR (Interbanken-Zinssatz) erhalten.

"Elsner hat gesagt: 'Machen wir weiter'"

Flöttl wurde danach nochmals im Detail zur Entstehung des Totalverlustes 1998 befragt. Die Initiative, trotz des Verlusts von 639 Mio. US-Dollar weiter für die Bawag Spekulationsgeschäfte zu betreiben, sei von Elsner ausgegangen. "Er hat gesagt: 'Machen wir weiter'", sagte Flöttl.

Elsner habe aber darauf bestanden, dass die Reste seines, Flöttls, Vermögen in jenes der Bawag übergeführt werden, erinnerte sich der Investmentbanker: "Ich habe mich zunächst geweigert. Es hat darauf eine unangenehme Diskussion gegeben. Herr Elsner ist ein sehr intensiver Mensch. Er hat mir mit allen möglichen Mitteln gedroht."

Konkret habe Elsner ihm, Flöttl, mit einem Skandal gedroht, der ihn "out of business" gestellt hätte, gab Flöttl zu Protokoll: "Er hat gemeint, ich werde dann nicht mehr wirtschaftlich tätig sein." Auch von einer Strafanzeige gegen seinen Vater Walter Flöttl - Elsners Vorgänger an der Bank-Spitze - im Zusammenhang mit dessen Penthouse-Wohnung sei die Rede gewesen. Elsner habe gemeint, wenn er, Elsner, im Zuge der Verluste als Generaldirektor "gehen" müsse, "dann gehe ich auch mit herunter und vielleicht auch mein Vater", so Flöttl jun.

Arthur Andersen prüfte

Ein "subalterner Beamter" der Bawag habe beim Vertrag der "Narrow Investments" genau bestätigt, dass er zu diesen Geschäften ermächtigt gewesen sei: "Lesen Sie, was dieser subalterne Bawag-Beamte geschrieben hat: Ich konnte jedes Risiko eingehen", sagte Flöttl am Nachmittag.

Elsner widersprach neuerlich heftig: "Dass so hoch geleveraget wird, davon hatten wir keine Ahnung." Erst als ihm Flöttl im Oktober 1998 in New York die Verluste darstellte, habe er davon erfahren.

Der Totalverlust der Bawag-Gelder wird laut Flöttl durch ein Audit der US-Wirtschaftsprüfergesellschaft Arthur Andersen bestätigt. Diese habe auf Grund seiner Angaben auch seine Geschäftspartner überprüft.

Arthur Andersen, damals auch Wirtschaftsprüfer von Refco, war in den Enron-Skandal verwickelt und wurde 2002 zerschlagen. Das Unternehmen hatte jahrelang falsche Bilanzen des US-Energiekonzerns mit hohen Gewinnen testiert, obwohl der Konzern eigentlich Verluste schrieb. Als der Anwalt von Ex-Bawag-Vorstand Peter Nakowitz, Rudolf Breuer, am Dienstag auf diese Umstände hinwies, meinte Flöttl, dies sei ein unfairer Vorhalt. (APA/red)