Die Beschäftigung mit dem Altern und mit der Vergänglichkeit des Körpers markieren eine Wende im Schaffen des kanadischen Choreografen Édouard Lock.

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"Vieles von dem, was man mit einem Körper tun kann, hat mehr mit der Wahrnehmung seines Beobachters zu tun als mit dem Körper selbst", erklärt der Choreograf Édouard Lock, der das kanadische Hypertanzlabel La La La Human Steps leitet. "Mich interessiert am meisten, wie der Tanz die übliche Wahrnehmung von Körpern verändert." In seiner jüngsten Arbeit, Amjad, greift er auf die Ballettklassiker Schwanensee und Dornröschen zurück.

Sexy Anzugträger

Dabei kommt Locks künstlerische Vision zutage, die eine Kritikerin so beschreibt: "Er will das Ethos des klassischen Ballets dekonstruieren, um eine ganz neue Ästhetik des 21. Jahrhunderts zu schaffen." Damit ist eine Form für die großen, spektakulären Bühnen gemeint. Über den Bezug zum romantischen Ballett wird in Amjad eine Verbindung zu den 1980ern gelegt, die sich in den sexy Outfits der Frauen und den Anzug tragenden Männern spiegelt, die zum Teil in Spitzenschuhen tanzen.

Der Choreograf hatte 1980 die Gruppe Lock Danseurs gegründet, die später in La La La Human Steps umbenannt wurde, und beschlossen, den damals etwas verstaubt daherkommenden Modern Dance zu entgrenzen. Die Lock Danseurs brachten als erste Arbeit Lili Marlene in the Jungle heraus. Mit dem folgenden Stück Oranges (1981) begann die Erfolgsstory der Company. Sie ging auf Tournee, 1989 wurde Lock der Titel "Tänzer des Jahres" verliehen; er arbeitete mit David Bowie und mit Frank Zappa zusammen.

La La La Human Steps gastierten in vielen wichtigen Festivals und Theatern. Dabei rüttelten sie die Eighties mit einer spektakulären Offensive auf, in der ausgefeilte Akrobatik, Geschwindigkeit und Körper in der Waagrechten, die um ihre Längsachse wirbelten, zum Einsatz kamen.

Ihre spektakuläre Kunst sollte nicht mit dem Kitsch von Riverdance oder Ähnlichem verwechselt werden. Lock produziert niemals Shows, sondern eben virtuose Stücke.

Die Produktionen 2 (1995) und Salt (1998) markierten eine Wende. Die Beschäftigung mit dem menschlichen Altern und die Einführung des Balletts in seine Modern- Dance-Ästhetik charakterisieren den Übertritt des 1954 geborenen Choreografen ins künstlerische Reifestadium.

Als sich die Leistungsfähigkeit der La-La-La-Tänzerkörper nicht weiter steigern ließ, reduzierte Lock seine Bühneneffekte und begann, eine unnahbare, kristalline Schönheit in seine Arbeit einfließen zu lassen - wie 2002 bei Amelia und nun bei Amjad. (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 31.07.2007)